Nelson, das Weihnachtskaetzchen
Gelegenheit zu nutzen und die ersten Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Das wäre eine gute Ausrede, um in der Stadt zu bleiben. Die Kinder würden sich zu Hause schon allein versorgen, wenn sie nicht rechtzeitig zum Abendessen zurück wäre.
Sie steuerte die Friedrichsstraße an, bummelte dort ein bisschen herum und fuhr schließlich weiter zum Alexanderplatz. Am Roten Rathaus sprang die Ampel auf Rot, und Anna konnte über die Straßenkreuzung hinweg zum Weihnachtsmarkt sehen. Sie überlegte, ob sie zu ihrem Vater hinübergehen sollte, um eine Erklärung von ihm zu verlangen. Die war er ihr schließlich schuldig. Sie würde erst gehen, wenn sie sich ausgesprochen hatten.
Doch traute sie sich so etwas im Moment überhaupt zu? Vielleicht wäre es besser, ihn den ersten Schritt machen zu lassen. Er war es ja auch gewesen, der alles ins Rollen gebracht hatte.
Die Ampel wechselte auf Grün, und Anna fuhr weiter. Den Weihnachtsmarkt ließ sie links liegen, stattdessen fuhr sie zur Shoppingmall hinterm Alexanderplatz. Dort kaufte sie für Klaus eine Armbanduhr und für Max das Computerspiel, das er sich gewünscht hatte. Dann schlenderte sie noch ein bisschen herum, in der Hoffnung, Inspirationen für weitere Geschenke zu bekommen. Doch es war stickig und voll im Einkaufszentrum, und Anna verlor bald die Lust. Also brachte sie die Geschenke ins Auto und machte sich auf den Heimweg. Der Weihnachtsmarkt rückte wieder in ihr Blickfeld. Doch dieses Mal achtete sie nicht weiter darauf. Sie würde ihrem Vater nicht hinterherlaufen, dachte sie. Lieber verzichtete sie auf die Versöhnung.
Eine halbe Stunde später war sie wieder zu Hause angekommen. Klaus war noch nicht von der Arbeit zurück, und das Haus lag zum größten Teil im Dunkeln. Nur die Zimmerfenster von Max und Laura waren erleuchtet. Anna brachte die Geschenke ins Haus und ging hinauf ins Obergeschoss. Es ging ihr nicht darum, ihrer Tochter auf den Nerv zu gehen. Sie wollte nur kurz eine Sache mit ihr besprechen, danach würde sie ihre Tochter in Ruhe lassen.
Sie klopfte an die Tür.
»Laura? Darf ich reinkommen?«
Nichts. Sie klopfte lauter.
»Laura!«, schrie sie.
Ein Brummen drang aus dem Innern. Anna interpretierte das als Herein. Sie öffnete die Tür. Laura saß auf dem Bett, hörte Musik über Kopfhörer und studierte in einem Textbuch. Sie probte offenbar für den Auftritt bei der Theaterwerkstatt.
»Die Aufführung ist am 24. Dezember vormittags, richtig?«, sagte Anna. »Um wie viel Uhr genau geht es denn los?«
Laura schob genervt den Kopfhörer herunter.
»Was hast du gesagt?«
Anna wiederholte ihre Frage.
»Keine Ahnung«, meinte Laura. »Vormittags halt.«
»Du musst doch wissen, wann euer Theaterstück aufgeführt wird.«
Doch Laura verdrehte nur die Augen.
»Möchtest du denn, dass wir kommen?«, fragte Anna. »Dein Vater und ich würden gern dabei sein.«
Sie hob die Schultern. »Mir egal.«
»Also, wenn wir kommen dürfen, dann tun wir das auch. Wie gesagt, ich würde dich sehr gern auf der Bühne sehen.«
»Wenn’s unbedingt sein muss.« Laura sah sie an, als ginge sie das alles nichts an. »Sonst noch was?«
Anna wollte sich schon wieder über das Verhalten ihrer Tochter ärgern. Doch dann tat sie es einfach mit einem Schulterzucken ab. Es gab einen anderen Grund, weshalb sie hergekommen war.
»Wegen Weihnachten«, sagte sie. »Ich hab noch mal drüber nachgedacht.«
Laura stöhnte auf. »Ich bleib ja schon hier, keine Panik. Wir brauchen da echt nicht noch mal drüber zu reden.«
»Nein. Wenn du möchtest, kannst du auf die Weihnachtsparty gehen.«
Laura fiel die Kinnlade herunter. Sie sah ihre Mutter ungläubig an.
»Du hast ja recht mit dem, was du sagst«, fuhr Anna fort. »Das Meiste ist dann schon vorbei, wenn ihr euch treffen wollt. Sag Louisas Eltern, ich bringe dich um neun zu ihnen. Sie brauchen dich nicht abzuholen.«
»Echt?«, kam es misstrauisch von Laura. Offenbar rechnete sie mit irgendwelchen Hintergedanken.
Doch Anna wollte einfach nur, dass die Streitereien zu Ende waren. Sollte ihre Tochter doch ihren Willen bekommen.
»Echt«, sagte sie. »Es geht schon in Ordnung.«
Sie wusste, Klaus würde nichts dagegen einwenden. Im Gegenteil. Insgeheim würde er sich freuen, wenn die Situation ein wenig entschärft war.
Laura schien immer noch auf eine böse Überraschung zu warten. Doch Anna sagte nur: »In einer halben Stunde können wir essen.« Dann zog sie die Tür wieder hinter sich zu.
Auf dem Weg
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