Nelson, das Weihnachtskaetzchen
ich auch mit Opa zu tun?«
»Laura!«, ermahnte Anna sie.
Laura betrachtete die Tränen ihrer Mutter voller Geringschätzung. »Tu doch nicht so, als ob dir da was leidtäte«, sagte sie. »Dir ist Opa doch völlig egal.«
Anna wurde wütend, aber sie schluckte jede Erwiderung hinunter. Sie wollte sich von ihrer Tochter nicht provozieren lassen.
»Willst du was essen?«, fragte sie und wischte sich die letzte Träne weg. »Ich könnte dir Rührei machen.«
»Ich glaub’s ja nicht! Was soll das denn alles? Wenn Opa dir fehlt, dann können wir ja mal nach München fahren. Was ist denn so schwer daran?«
»Laura! Ich möchte jetzt nicht darüber reden.«
»Und was ist, wenn ich darüber reden möchte? Wieso kommt Opa an Weihnachten nicht zu uns?«
»Opa kann nicht. Das weißt du genau.«
Laura wurde plötzlich laut. Sie konnte es offenbar nicht ertragen, bei ihrer Mutter abzublitzen. Das machte sie rasend. »Bestimmt kann er!«, schrie sie. »Aber du willst das nicht. Du lässt ihn doch im Heim verrecken!«
Jetzt brannten auch bei Anna die Sicherungen durch. » Er ist gar nicht im Heim! «, brüllte sie ihre Tochter an.
Danach war Stille. Anna sackte auf dem Wohnzimmerstuhl zusammen. Jetzt war es raus.
»Er ist gar nicht im Heim«, wiederholte sie leise.
»Aber …« Laura starrte sie fassungslos an.
»Es ist genau so, wie du gesagt hast. Opa will nicht kommen. Er hat die Schnauze voll von mir. Das waren doch neulich deine Worte. Damit hast du recht gehabt.«
Anna beschloss, die Wahrheit zu sagen. Sie würde sich dem Urteil ihrer Tochter stellen. Keine Lügen mehr, sagte sie sich. Sie machten viel mehr kaputt, als dass sie etwas retteten.
»Ich wollte dich nicht schlagen, Laura. Ich konnte nur die Wahrheit nicht ertragen. Es tut mir so unendlich leid.«
Laura ließ sich ebenfalls auf einen Stuhl sinken. Sie wirkte aufgewühlt, sagte aber nichts, sondern wartete ab. Ihre Mutter sollte ihr erklären, was eigentlich los war.
Anna holte Luft. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
»Weißt du noch, als Oma gestorben ist?«, begann sie.
Laura nickte vorsichtig.
»Sie war sehr, sehr krank. Daran kannst du dich sicher noch erinnern.«
»Sie hatte Krebs«, sagte Laura schwach.
»Ja, sie hatte Krebs. Es war ein langer und schwerer Verlauf. Sie hatte viele, viele Operationen über sich ergehen lassen, doch der Krebs kam immer wieder zurück. Am Ende war er fast überall. Trotzdem sollte noch eine Operation gemacht werden, um ihr Leben zu verlängern. Das war kurz bevor sie starb. Doch Oma hatte keine Kraft mehr dafür. Sie wollte nicht wieder ins Krankenhaus. Opa dagegen war davon überzeugt, dass sie überleben würde, wenn sie sich noch einmal operieren ließ. Er wollte nicht hören, was die Ärzte sagten. Er klammerte sich an jede Hoffnung. Oma wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte nicht ins Krankenhaus zurück. Wir haben lange darüber geredet. Ich habe ihr geraten, es nicht zu tun. Sie sollte in Frieden sterben, im Hospiz und mit uns an ihrem Bett, so wie sie es sich gewünscht hatte. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich dieser Operation nicht unterziehen. Es hätte nur ihre Schmerzen und ihr Leiden verlängert.«
Laura war jetzt ganz still. Sie sah ihre Mutter mit großen Augen an.
»Letztlich war es ihre Entscheidung«, sagte Anna. »Ich habe einfach nur versucht, alles richtig zu machen. Aber ist mir das gelungen? Ich weiß es nicht. Erwachsene machen manchmal Dinge falsch, aber das weißt du ja schon. Oma ist kurz darauf gestorben. In ihrem Bett im Hospiz.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Laura. Ihre Stimme klang dünn und ängstlich.
»Opa war so verzweifelt und so unglücklich. Er wusste nicht, was er tun sollte. Da hat er mir die Schuld an Omas Tod gegeben.«
»Aber du hattest doch gar keine Schuld.«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber dafür war er blind. Er war so furchtbar traurig und wütend. Da musste er einfach jemandem die Schuld geben. Sonst hätte er das alles nicht ertragen.«
Laura schwieg betroffen.
»Das habe ich damals nicht verstanden«, fuhr Anna fort. »Ich fand es so ungerecht von ihm. Und ich war so verletzt. Und dann habe ich etwas ganz Furchtbares getan.«
Die Stimme versagte ihr. Doch sie wollte weiterreden, sich nicht vor ihrer eigenen Schuld verstecken. Sie hielt den Blick auf die Tischplatte gerichtet, als sie fortfuhr.
»Ich habe ihm vorgeworfen, er habe Oma alleine gelassen. Er sei nicht für sie da gewesen, als sie sterben wollte. Er sei eine
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