Nelson DeMille
wahrscheinlich, Anthony wäre in meiner Hörweite, und nicht, dass ich mir wegen einer möglichen Fangschaltung Gedanken machte. Sie sagte: »Tja, lass dir kurz erzählen, was passiert ist. Als ich deine Sachen gepackt habe, hat das Telefon im Pförtnerhaus geklingelt, und ich bin rangegangen.«
»In Ordnung ... « Samantha? Elizabeth? Iranische Terroristen? »Es war Elizabeth, die dich sprechen wollte.« »Kann gut sein. Ich habe bis heute dort gewohnt.«
»Sie hat gesagt, dass es ihrer Mutter schlechter geht und sie ins Koma gefallen ist.«
»Das tut mir leid, aber wir wussten ja -« »Und sie kann sich um sieben nicht mit dir treffen.« »Oh ... richtig. Sie wollte mich zum Essen ausführen, um sich bei mir zu bedanken -«
»Das hat sie mir gesagt. Und ich habe die Gelegenheit genutzt und ihr mitgeteilt, dass du und ich wieder zusammen sind.«
»Großartig. Sie hatte gehofft, das wir wieder zusammenkommen.«
»Den Eindruck hatte ich bei unserem kurzen Gespräch nicht. Sie schien überrascht zu sein.«
»Wirklich? Nun ja, ich bin auch überrascht. Na schön, lass mich Anthony kurz beiseite...«
»John, sag ihm einfach, dass du sofort aufbrechen musst. Ich habe Elizabeth gesagt, dass wir uns mit ihr im Fair Häven treffen. Du kannst ihn später anrufen und ihm alles erklären.«
»Susan, ich muss das jetzt machen. Persönlich. Ich bin in etwa fünfzehn Minuten dort.«
»In Ordnung. Viel Glück. Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Ich legte auf und schaute mich noch einmal im Herrenzimmer um. Über dem Kamin hing eine Kopie von Rubens' Raub der Sabinerinnen, was meiner Meinung nach mehr über Anthony Bellarosas Kopf als über seinen Kunstgeschmack verriet.
Ich wollte bereits gehen, bemerkte dann aber ein vertrautes Gemälde, das auf einer Staffelei stand. Es war tatsächlich Susans Bild von der Ruine des Palmenhofes von Alhambra. Ich hatte es zum ersten und letzten Mal in meinem Leben im restaurierten Palmenhof von Alhambra gesehen, als Frank Bellarosas Leichnam ein paar Schritte von mir entfernt lag und die Künstlerin höchstpersönlich in Handschellen abgeführt wurde.
Meiner Meinung nach war es eines ihrer besten Bilder. Und als ich es jetzt betrachtete, entsann ich mich auch, dass ich eine Art Analogie zwischen Susans Darstellung von Ruinen und Verfall und ihrem Geisteszustand hergestellt hatte. Heute bin ich mir nicht sicher, ob ich da nicht zu viel hineininterpretiert habe. Aber ich erinnere mich, dass ich mit der Faust die Leinwand durchschlagen habe, sodass sie samt der Staffelei quer durch den Palmenhof flog.
Ich trat näher an das Bild heran und sah, dass derjenige, der das Bild restauriert hatte, hervorragende Arbeit geleistet hatte; es wäre schön, wenn sich das Leben auch so gut restaurieren ließe.
Ich fragte mich, wer die Restaurierung in Auftrag gegeben hatte und warum, und weshalb es hier in Anthony Bellarosas Herrenzimmer stand. Ich sah Susans unverkennbare Signatur in der unteren rechten Ecke, folglich wusste Anthony, wer es gemalt hatte.
Ich könnte lange darüber nachdenken und zahllose stichhaltige und nicht stichhaltige Mutmaßungen darüber anstellen, warum dieses Bild hier war; außerdem könnte ich ihn einfach fragen. Aber dadurch würde nur etwas komplizierter werden, das ganz einfach war; es wurde Zeit, Anthony mitzuteilen, dass ich nicht für ihn arbeiten würde und dass er sich von meiner ehemaligen und künftigen Frau fernhalten sollte.
Als Caesar den Rubikon überschritt, wusste er, dass es kein Zurück gab, und daran dachte ich, als ich einen Brieföffner von Anthonys Schreibtisch nahm, zu dem Gemälde ging und die Leinwand zerschlitzte, bis sie in Fetzen herunterhing. Dann verließ ich das Herrenzimmer und lief den langen Korridor entlang in Richtung der Geräusche, die darauf hindeuteten, dass das Essen serviert wurde.
33
Eine Hälfte des langen Esszimmertisches war für sechs Personen gedeckt, und auf dem Tisch standen Platten mit gemischten Antipasti, dazu ein Laib italienisches Brot und eine Flasche Rotwein.
Anthony saß am Kopfende, Megan rechts von ihm und seine Mutter zur Linken. Die Kinder saßen neben ihrer Mutter. Als ich eintrat, nahm sich Anna gerade Salami und Käse. »Setzen Sie sich«, sagte sie zu mir. »Hierher. Neben mich.«
»Ich bitte um Entschuldigung, aber ich muss gehen.«
Anna hörte auf, sich zu bedienen, und fragte: »Gehen? Wohin?«
Ich erklärte es allen: »Ethel Allard, die Frau, die im Pförtnerhaus wohnt, liegt im Hospiz, und
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