Nelson DeMille
geizige Willie, die dusselige Charlotte und der nichtsnutzige Peter nicht ihre eigenen Blumen schicken konnten. Ich bekam schon Magenkrämpfe, bloß weil ich auf der gleichen Karte wie sie stand. Wie sollte ich jemals nett zu William sein können, solange er noch lebte?
Ich betrachtete die anderen Blumenarrangements, und es war schön, die vielen Namen aus alten Zeiten zu lesen, teilweise von Leuten, die weggezogen waren, aber von Ethels Tod erfahren hatten. Trotz aller Fehler war sie eine getreue Kirchgängerin gewesen, eine gute Freundin für ein paar wenige Auserwählte und eines der letzten Bindeglieder zur Ära der großen Anwesen mit den dazugehörigen Damen und Herren - einer Welt, die Ethel verabscheute, aber an der sie, wie es die Ironie des Schicksal wollte, mehr teilgehabt hatte, als ihr klar gewesen war.
Ich warf einen Blick auf die Karten an ein paar anderen Blumengebinden, bis mir plötzlich eine kleine Karte auffiel, die an einen riesengroßen Strauß weißer Lilien geheftet war. Dort stand: Unser tiefstes Beileid, und unterzeichnet war sie mit Anthony, Megan, Anna und Familie.
52
Wir blieben, bis nur noch Ethel in Salon A weilte.
Wir brachten Elizabeth samt Sohn und Tochter zu ihrem Auto, und Susan fragte sie: »Hast du Lust, auf ein spätes Abendessen mit zu uns nach Hause zu kommen?«
Elizabeth lehnte ab, aber ich bedrängte sie, weil ich Gesellschaft brauchte, um nicht mit den Stanhopes sprechen zu müssen. Elizabeth ahnte das wohl, erklärte uns aber, dass Tom und Laurence bei ihr vorbeischauen wollten, was ich sehr zivilisiert fand, deshalb luden wir sie ebenfalls ein. Elizabeth rief Tom über dessen Handy an, und er und Laurence wollten gern zu uns stoßen. Weil ich spontane Partys liebe, schlug ich Elizabeth vor: »Lass uns auch Onkel... wie war doch gleich der Name deines Onkels?«
»Wir wollen Sophie nicht überfordern«, warnte mich Susan. Die Stanhopes schienen sich über die Gesellschaft nicht zu freuen, was wiederum mich freute.
So fuhren wir alle los und näherten uns gegen einundzwanzig Uhr dreißig dem Tor von Stanhope Hall. Meine Fernbedienung funktionierte noch, aber als wir durch das sich öffnende Tor fuhren, trat ein junger Mann in einer albernen himmelblauen Uniform aus dem Pförtnerhaus - jetzt das Wachhaus - und hob die Hand.
Ich hielt an, und er fragte: »Wen wollen Sie besuchen?« »Mich«, erwiderte ich. »Wen wollen Sie besuchen?«
Ich klärte ihn auf und sagte ihm, er solle das Tor für die nächsten beiden Fahrzeuge offen lassen, dann fuhr ich auf der dunklen Zufahrt weiter.
»Das ist ja ein starkes Stück«, empörte sich William. »Dass man nicht mal mehr seinen eigenen Grund und Boden betreten darf. In unserer Gemeinde, Palmetto Shores, kennt jeder Wachmann sämtliche Einwohner und ihre Autos. Ist es nicht so, Susan?«
»Mr Nasim hat gerade erst mit dem Wachschutzdienst angefangen, Dad.«
Doch William fuhr fort und sang weitere Lobeslieder auf sein, Charlottes und vermutlich auch Susans bewachtes Paradies. Ich brauchte schnellstens einen Drink. Vor allem aber, glaube ich, hatte Susan Mom und Dad bereits satt, und sie waren erst seit vier Stunden da. Um nett zu sein, sagte ich zu allen: »Ich freue mich wirklich darauf, mit Susan nach Hilton Head zu kommen. Palmetto Shores klingt großartig.«
Im Fond des Wagens herrschte Schweigen, und ich fuhr weiter, parkte dann das Auto, und wir gingen hinein.
Susan hatte Sophie vorher angerufen, die jetzt in der Küche stand und versuchte, genügend Fressalien für neun Personen zusammenzukratzen - zehn, wenn wir Onkel Wie-hieß-er - doch-gleich erreichten.
Ich übernahm meine Hausherrenpflicht und baute auf der Kochinsel eine hübsche Bar auf, während Susan Sophie half. Nur William und Charlotte waren wie üblich zu nichts zu gebrauchen und setzten sich mit Martini Nummer fünf ins Wohnzimmer.
Elizabeth, die mit Tom junior und Betsy eintraf, fragte: »Was geht im Pförtnerhaus vor sich?«
Susan erklärte es ihr, während ich für alle Drinks machte. »Das ist ja traurig«, sagte Elizabeth, »aber ich habe noch immer schöne Erinnerungen an die Zeit, als ich dort wohnte.« Dann fragte sie, ob ich einen toskanischen Roten hätte, was mich an unser erstes und letztes Rendezvous erinnerte. Ich bat ihre Kinder, die rechte Hand zu heben und zu schwören, dass sie einundzwanzig seien, was ihnen und ihrer Mutter ein Lächeln entlockte.
Mir kam eine großartige Idee, und ich ging ins Wohnzimmer, um ein gerahmtes Foto
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