Nelson DeMille
diesen konservativen Zug aufweisen - von meinem Vater einmal abgesehen, der ein liberaler Demokrat war und bei den von Republikanern dominierten Familienzusammenkünften immer in politische Streitgespräche geriet. Meine verrückte Mutter Harriet ist ebenfalls eine Progressive, und sie und Ethel verbündeten sich stets gegen die Mehrheit der unaufgeklärten, unterdrückerischen männlichen Schweine, die einst die Gesellschaft der Gold Coast beherrschten.
Aber selbst das hatte sich geändert, und als ich vor zehn Jahren weggegangen war, konnte man offen darüber reden, wenn man einen Freund oder Nachbarn hatte, der Demokrat war, ohne dass man sich Sorgen wegen fallender Grundstückspreise machen musste.
Passend zum Thema Krieg und Politik hörte ich mit halbem Ohr einer konservativen Radio-Talkshow zu und drehte den Ton lauter, als ein Anrufer sagte:
»Wir müssen sie mit einer Atombombe vernichten, bevor sie uns mit einer Atombombe vernichten.«
Der Moderator, der ein bisschen um Vernunft bemüht war, erwiderte: »Okay, aber wen sollen wir mit einer Atombombe vernichten?«
»Alle«, antwortete der Anrufer. »Werft zunächst mal eine Atombombe auf Bagdad, damit wir unsere Jungs nicht dorthin schicken müssen, wo sie bloß umgebracht werden.«
»Okay, aber vielleicht sollten wir zuerst eine Atombombe auf die Ausbildungslager von al-Qaida werfen. Die Botschaft kapieren alle.«
»Yeah. Werft auch 'ne Bombe auf die Lager.«
Der Moderator unterbrach das Gespräch für eine Werbepause und die mitreißende patriotische Musik von John Philip Sousa, einem ehemaligen Bewohner von Long Island, der allem Anschein nach ein Comeback erlebte.
Seit dem 11. September hatte eine erstaunliche Veränderung der politischen und sozialen Kultur stattgefunden, die irgendwie beunruhigend war, wenn man nicht hier lebte und die Entwicklung mitbekommen hatte. Vor praktisch jedem Haus wehte eine amerikanische Flagge, auch vor den Läden und Häusern hier in Glen Cove, das normalerweise keine Bastion der Konservativen ist. Und auch an fast jeder Autoantenne hing eine Fahne, dazu klebte ein Aufkleber am Fenster oder an der Stoßstange, auf dem ein Slogan stand wie »9/11 - nie vergessen« oder »Bin Laden, du kannst fliehen, aber du kannst dich nicht verstecken« und so weiter und so fort. Fast jeder, dem ich in Locust Valley begegnete, trug einen Flaggensticker. Und ich stellte mir vor, wie die Leute mein Auto nach Hinweisen danach absuchten, ob ich ein guter Amerikaner war.
Im letzten Jahrhundert wurde Glen Cove zur Heimstatt zahlreicher italienischer Einwanderer, die beim Bau und bei der Instandhaltung der großen Herrenhäuser und Ländereien Arbeit fanden. Und aus dieser körperlichen Arbeit für die Reichen entstanden über mehrere Generationen hinweg italienisch-amerikanische Baufirmen, Landschaftsgärtnereien und ähnliche Unternehmen.
Das war eine große amerikanische Erfolgsgeschichte, deren Nebeneffekt jedoch war, dass aus der breiten italienischen Bevölkerungsschicht leider auch die kleine, aber beharrliche Gruppe von Gentlemen hervorging, deren Geschäfte nichts mit Landschaftsgärtnerei zu tun hatten. Daher kam es, dass Mr Frank Bellarosa aus Brooklyn vor zehn Jahren nach Glen Cove unterwegs war, um sich in einem italienischen Restaurant mit Geschäftspartnern zu treffen. Ironischerweise hätten er und sein Fahrer - war es Anthony, der heute Tony genannt wurde? - sich
heutzutage dank GPS nicht verfahren und wären nicht an der Grace Lane gelandet, und mittels Satellitentechnologie wäre das Schicksal überlistet worden. Man mache sich das mal klar.
Ich fuhr auf der Dosoris Lane nach Norden, einer aus dem siebzehnten Jahrhundert stammenden Straße, die zum Sund führte und an der einige Sutters vor Jahrhunderten gewohnt hatten.
Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt, das Fair Häven Hospice House zu besuchen, aber die nette Dame am Telefon hatte mir den Weg gut beschrieben und mir versichert, dass Mrs Allard Besucher empfangen durfte - allerdings wies sie mich darauf hin, dass sich die Lage bis zu meinem Eintreffen ändern könnte.
Die Dosoris Lane führte an acht großen Anwesen vorbei, die einst alle der Familie Pratt gehört hatten und von Mr Charles Pratt von Standard Oil für sich selbst und sieben seiner acht Kinder erbaut worden waren. Warum Nummer acht kein Anwesen bekam, ist mir ein Rätsel, aber ich bin mir sicher, dass Charles Pratt seine Gründe hatte, so wie auch William Bumskopf von Hilton Head seine Gründe
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