Nelson DeMille
mich an etwas erinnert: Wer war der Mann aus den Bergen, der dich angebaggert hat?«
»Bist du eifersüchtig?« »Bin ich das je gewesen?«
»Nein. Nun ... als wir frisch miteinander gegangen sind.« »Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
»Ich kann dein Gedächtnis auffrischen, wenn du möchtest.«
»Du erfindest dieses Zeug«, sagte ich. »Okay, wir haben einen langen Tag vor uns, daher sollten wir zu Bett gehen und nicht miteinander schlafen.«
»Gott sei Dank.«
»Ich überprüfe die Türen und Fenster und komme gleich nach.«
Sie ging nach oben, und ich setzte mich an den Computer. In London war es kurz vor sieben Uhr morgens, folglich sollte Samantha meine E-Mail erhalten, bevor sie ihre erste Tasse Kaffee trank - vorausgesetzt, sie überprüfte regelmäßig ihren Posteingang, was sie nicht machte. Ich wollte wirklich nicht, dass sie in eine Maschine nach New York stieg. Ich meine, ich hatte genug Probleme hier, und auch wenn Susan nicht zu den eifersüchtigen Frauen zählte, war ich mir sicher, dass sie keine Lust auf ein paar Drinks mit Samantha im Mark hatte.
Deshalb tippte ich einen sehr schönen Brief an Samantha und erklärte ihr die Lage in aller Ehrlichkeit und mit Bedauern. Das Problem mit der Mafia erwähnte ich nicht, weil sie sich Sorgen machen würde - obwohl es ihr vielleicht g efallen würde, wenn man mich umlegte. Bei verstoßenen Frauen kann man das nie wissen. Man schaue sich nur Susan und Frank an - hoppla. Lösch das.
Ich las den Brief noch einmal, feilte ein bisschen daran herum, klickte dann auf Senden und hatte das Gefühl, als hätte ich gerade den Zünder betätigt und meine letzte Brücke nach London in die Luft gejagt.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Nun ja ... eigentlich schon seit letztem Sonntag nicht mehr. Erledigt.
Ich holte das Gewehr aus dem Besenschrank, kontrollierte sämtliche Fenster und Türen und ging dann hinauf ins Schlafzimmer.
Susan lag nackt im Bett und hatte ein Kissen unter dem Hintern. Schlimmer Rücken? Yoga? Ah! Ich kapier's.
59
Der Samstagmorgen war regnerisch. Gutes Beerdigungswetter.
Die Sutters, alle schwarz gekleidet und mit schwarzen Regenschirmen, quetschten sich in den Lexus. Ich fuhr, und innerhalb von fünfzehn Minuten parkten wir bei der St. Mark's Episcopal Church in Locust Valley.
Das kleine, aber schmucke Gebäude war um die Wende zum letzten Jahrhundert errichtet und mit dem Geld finanziert worden, das man bei einer Pokerrunde beschlagnahmt hatte, zu der sich sechs Millionäre in einem Herrenhaus getroffen hatten.
Und wer, könnte man fragen, beschlagnahmt Geld von Millionären, die sich beim Pokerspiel amüsieren? Nun ja, Sozialisten oder Steuereintreiber der Regierung - allerdings nicht, um eine Kirche zu bauen. Tatsächlich waren es die Ehefrauen dieser Männer, gute Christinnen, die sich einen Spaß erlaubt hatten, aber wahrscheinlich vom Gemeindepfarrer dazu aufgestachelt worden waren, die Reichen zu berauben, weil er meinte, er brauchte eine neue Kirche, und wusste, wie er sie bekommen konnte.
Hunnings, dessen bin ich mir sicher, würde das Gleiche machen, wenn sich ihm auch nur die geringste Gelegenheit böte. Jedenfalls war es eine hübsche Kirche, trotz der sündigen Herkunft der Finanzen.
Susan, ich und die Kinder stellten uns zu Begrüßung und Empfang im Narthex auf, dann suchten wir uns eine Bank im vorderen Teil.
Die Kirche war etwa halbvoll, was für den Trauergottesdienst einer alten Frau an einem regnerischen Samstagmorgen nicht schlecht war. Als wir den Mittelgang entlangschritten, sah ich weder Williams kastanienbraune Locken noch Charlottes notausgangrote Haare, die schwer zu übersehen sind. Folglich waren sie noch nicht da. Vielleicht hatten sie gestern Abend beim Essen zu viele Martinis gebechert, waren ekelhaft geworden und hatten dafür Prügel von ihren Freunden bezogen.
Ethels geschlossener Sarg stand auf einer Bahre nahe dem Altargitter und war mit einem weißen Tuch bedeckt. Um die Sache etwas aufzuheitern, lagen ein paar Blumengebinde aus dem Bestattungsinstitut entlang des Gitters, und der Organist sorgte für die Hintergrundmusik. Der Regen trommelte an die Buntglasfenster, und die Luft war feucht und stickig und roch nach nasser Kleidung und Kerzenwachs.
Ich war schon bei vielen fröhlichen - Hochzeiten und Taufen -, aber auch traurigen Anlässen - Hochzeiten und Beerdigungen - in St. Mark's gewesen, und natürlich am Ostersonntag, zum Mitternachtsgottesdienst an Weihnachten sowie ab und
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