Nelson DeMille
zu beim normalen Sonntagsgottesdienst. Wenn ich die Augen schloss, sah ich sogar die Taufen von Edward und Carolyn vor mir, und ich konnte mir Susan vorstellen, die in ihrem Hochzeitskleid den Gang entlangschritt.
Dieses Gebäude war mit vielen Erinnerungen verbunden und mit vielen Geistern, aber die vielleicht traurigste Erinnerung handelte von einem Jungen namens John Sutter, der mit Harriet, Joseph und Emily in einer Bank saß ... und dachte, er hätte normale Eltern und die Welt wäre ein guter und sicherer Ort.
Wenn man vom Teufel spricht: Harriet drückte sich in die Bankreihe und quetschte sich neben Carolyn. Wir begrüßten uns, und Harriet flüsterte mir zu: »Ich würde gern mit euch zum Friedhof fahren.«
»Natürlich.« Wenn Harriet selber fahren würde, lägen entlang des Wegs ein paar Tote mehr, die der Leichenwagen einsammeln konnte.
Reverend James Hunnings nahte in seinem angemessenen geistlichen Gewand, verbeugte sich vor dem Altar, ging dann gemessenen Schrittes zum mittleren Podest. Er breitete die Arme aus und verkündete: »>Ich bin die Auferstehung und das Leben<, sagt der Herr.« Ich konnte nur hoffen, dass er nicht von sich sprach.
Ethel, wenn sie denn etwas hören könnte, wäre mit Pater Hunnings' Auftritt ebenso zufrieden gewesen wie mit dem Organisten. Sie hatte die Choräle selbst ausgewählt, und der Chor und die Gemeinde waren gut bei Stimme.
Elizabeth hielt einen schönen Nachruf auf ihre Mutter, gefolgt von Tim junior und Betsy. Bei diesen Elogen erfährt man ein paar neue Dinge über die Verstorbenen, und es klang so, als wäre Ethel eine nette Frau gewesen. Vielleicht war sie's.
Pater Hunnings sprach ebenfalls über die Verstorbene und sagte, sie sei eine sehr gläubige und vom Geist Gottes erfüllte alte Dame gewesen, Worte, die er gestern Abend bei mir ausprobiert hatte.
Der Gottesdienst schloss auch die heilige Kommunion mit ein, was für uns bedeutete, dass wir den Sonntagsgottesdienst schwänzen konnten. Ich nutzte die Gelegenheit und sprach ein Gebet für meinen Vater.
Zu guter Letzt forderte uns Pater Hunnings auf, das Friedenszeichen zu machen, und die Sutters küssten einander; ich küsste sogar Harriet. Dann schüttelten wir den Leuten ringsum die Hand, und ich drehte mich zu der Bank hinter uns um und bot meine Hand ... William Stanhope. Wann hatte der sich reingeschlichen?
Carolyn, Edward und Susan küssten Charlotte und William, dann war ich bei Charlotte an der Reihe, und es gab für keinen von uns ein Entrinnen, es sei denn, ich täuschte einen Herzanfall vor. Um mich also an die wunderbare Friedensbotschaft zu halten, drückte ich ihr einen Kurzen auf die runzlige Backe und murmelte: »Fritten seien mit dir.«
Das Bestattungsinstitut hatte professionelle Sargträger gestellt, und Familie Allard folgte dem Sarg, dann Pater Hunnings, dessen Messdiener die Nachhut bildeten, und schließlich kamen die Trauergäste.
Weil es immer noch regnete, wurden Regenschirme aufgespannt, was ein Weiteres zu dem üblichen Durcheinander und der Unklarheit beitrug, wer in wessen Auto zum Friedhof mitfahren und wer in welche Limousine steigen sollte. Ethel jedenfalls nahm mit Sicherheit den Leichenwagen.
Susan bestand darauf, dass meine Mutter vorn neben mir sitzen sollte, daher hatte ich das Vergnügen, mir Harriets Ratschläge übers Autofahren anhören zu dürfen. Das ist ein Witz - stimmt's?
Ich ordnete mich in die Schlange der Autos zur Beerdigungsprozession ein, die von Ethel angeführt wurde, gefolgt von drei Großraumlimousinen für die Familie und etwa zwanzig anderen Autos, die unter Polizeibegleitung quer durch die Stadt zum Locust Valley Cemetery rollten. In der einen Ecke dieses interkonfessionellen Friedhofs befindet sich die Begräbnisstätte der Familie Stanhope, was ihnen ein Maximum an Privatsphäre und einen sicheren Abstand zu den weniger bedeutenden Toten garantierte.
Ich hielt so nahe wie möglich am Grab, und mit der Schar der Trauernden traten wir an die offene Grube heran.
Das Bestattungsinstitut hatte die Blumenarrangements hergeschafft und abseits des Grabes zu einem Kreis angeordnet, in dem wir uns alle versammelten, worauf jemand Rosen verteilte. Etwa fünfzig Trauergäste standen um den Sarg, der auf einer Bahre neben dem Loch ruhte, das mit einer Art Kunstrasen abgedeckt war. Ich bemerkte, dass das alte Schild mit der Aufschrift »Victory Garden« am Kopfende von Ethels Grab steckte.
George Allards Grabstein lag neben Ethels letzter
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