Nelson DeMille
gut, keine Besucher« und »Entschlafen«. Meiner Meinung nach zählte »Im Fitnessstudio« nicht zu den Befindlichkeitsmeldungen im Fair Häven.
Die Dame schickte mich zu einem kleinen Fahrstuhl in der Lobby. »Erster Stock, Zimmer sechs.«
Ich war allein im Aufzug, der für die eine Etage eine ganze Weile brauchte, während der ich mir einen piepsigen Auszug aus Vivaldis Vier Jahreszeiten anhörte - den »Sommer«. Ich stellte mir vor, dass die Tür aufging und sich vor mir eine ätherische Landschaft mit weißen Wolken und blauem Himmel erstreckte, mit einem prachtvollen Tor in der Ferne. Ich brauchte wirklich einen Drink.
Als die Tür aufging, tat sich wahrhaftig ein Korridor mit einer Blumentapete vor mir auf, in dem eine Dame in Weiß wartete. Man hatte mich anscheinend angekündigt, denn sie begrüßte mich mit Namen, stellte sich als Mrs Knight vor und sagte dann: »Nennen Sie mich Diane.«
»Hallo, Diane.«
»Folgen Sie mir bitte.«
Ich folgte ihr den langen Korridor entlang. Mrs Knight schien eine dieser typischen Krankenpflegerinnen zu sein, die sowohl streng als auch liebenswürdig sind, was zweifellos daher rührte, dass sie im Haus der Sterbenden mit jeder nur denkbaren menschlichen Gefühlsregung zurechtkommen musste.
Im Gehen sagte sie: »Mrs Allard hat Medikamente gegen ihre Schmerzen erhalten, daher wird sie Ihnen vielleicht nicht so munter vorkommen, wie Sie sie in Erinnerung haben.«
»Ich verstehe.«
»Sie ist im Moment allerdings bei klarem Verstand und geistig rege.« »Gut.«
»Ihre Schmerzen sind erträglich und kontrollierbar.«
»Das ist gut.« Ich hatte das Gefühl, dass ich Fragen stellen sollte, um ihr diese Aussagen zu entlocken, deshalb fragte ich:
»Wie sieht es mit ihrer Gemütsverfassung aus?« »Erstaunlich gut.« »Viele Besucher?«
»Ein paar. Darunter Ihre Mutter und Ihre Frau.« »Meine Exfrau. Sie sind jetzt aber nicht hier, oder?«
»Nein.« Sie warf einen Blick auf mein Geschenk. »Sie wird diesen Teddybär lieben.« Vor einer Tür blieb sie stehen und sagte: »Ich gehe rein und sage ihr, dass Sie hier sind. Ich finde es sehr schön, dass Sie extra aus London gekommen sind, um sie zu besuchen.«
»Ja, nun ja ... sie ist eine wunderbare Frau.«
»Das ist sie in der Tat.«
Ich fragte mich, ob hier eine andere Ethel Allard lag.
Mrs Knight wollte gerade die Tür öffnen, als ich sie fragte: »Wie lange ...? Ich meine -«
»Oh, ich würde sagen, eine halbe Stunde, allerhöchstens.« »Eine halbe Stunde?«
»Ja, dann wird sie müde.«
»Oh. Nein, ich habe gemeint -«
»Ich schaue alle zehn Minuten kurz rein.«
»Okay. Was ich gemeint habe ... Ich bin nur noch ein paar Wochen in der Stadt und habe mich gefragt, ob ich sie noch mal sehen kann.« Weil Mrs Knight entweder nicht mitkam oder über das Thema nicht sprechen wollte, fragte ich unverblümt: »Wie lange hat sie noch zu leben?«
»Oh ... darüber machen wir uns keine Gedanken, aber ich würde sagen, das Ende ist nah.«
»Wie nah? Zwei Wochen?«
»Möglicherweise länger. Ethel ist eine Kämpfernatur.« »Drei?« »Mr Sutter. Ich kann Ihnen nicht -« »In Ordnung. Ich hatte eine Tante, die -«
»Sie haben ja keine Ahnung, was ich hier schon alles erlebt habe. Der Tod ist das große Geheimnis des Lebens, und von der Einstellung und Gebeten hängt vieles ab.«
»Ja, das glaube ich. Ich habe für sie gebetet.« Ich brauche ihr Haus.
Mrs Knight schaute mich an und bedachte mich mit einer, wie ich vermutete, gut einstudierten Weisheit: »Es ist ganz natürlich, dass wir unsere Lieben so lange wie möglich bei uns behalten wollen. Aber das ist selbstsüchtig. Ethel hat sich mit ihrem Zustand abgefunden und ist bereit, zu gehen.«
Das klang eher nach einer Woche, aber ich brauchte das Pförtnerhaus möglicherweise noch zwei. Ich hatte nach Mrs Knights Beteuerung, dass Ethel eine Kämpfernatur sei, frischen Mut gefasst, aber dem widersprach ihre Mitteilung, dass Ethel bereit sei, zu gehen. Statt um eine Klarstellung zu bitten, versuchte ich es mit einem neuen Vorstoß. »Ich bin auch ihr Anwalt - nicht nur ihr Freund -, und es müssen noch einige Papiere aufgesetzt und unterzeichnet werden, daher sollte ich vielleicht mit ihrem Arzt darüber sprechen, wie viel... Zeit ihr noch bleibt.«
Sie nickte. »Ihr behandelnder Arzt ist Dr. Jake Watrai.«
»Danke.« Vielleicht lag der Schlüssel für meinen weiteren Verbleib im Pförtnerhaus weniger in der Hand Gottes oder der von Dr. Watrai, sondern eher in Amir
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