Nelson sucht das Glück
noch Nelson und er.
Nelson bemerkte auch, dass eine innere Wut an Thatcher nagte. Die meiste Zeit war sie nicht spürbar, doch wenn gelegentlich ein Auto Thatchers LKW schnitt oder er im Restaurant saß und seine Bestellung zu lange auf sich warten ließ, kam der Ärger an die Oberfläche. Dann schimpfte und fluchte Thatcher, was Nelson gar nicht an ihm kannte.
Die Mutter von Thatchers Sohn und den kleinen Jungen trafen sie noch zwei Mal. Offenbar nahm Thatcher einen gewaltigen Umweg auf sich, um nach North Carolina zurückzukehren, denn er fuhr fünfzehn Stunden am Stück, was ihn müde und reizbar machte, ein Mann, der sich in sich zurückzog. Doch das nächste Zusammentreffen mit dem Jungen war nicht von irgendwelchen Streitereien geprägt. Zwischen Thatcher und der Frau blieb es friedlich, bis auf einen kurzen Moment der Konfrontation, als sie mit dem Geldbündel, das er ihr reichte, offenbar nicht einverstanden war. Nelson sah deutlich, wie aufgewühlt Thatcher war, als er seinen Sohn in die Arme nahm, und beobachtete, wie er sich bemühte, mit dem Jungen zu reden. Ein oder zwei Stunden kickten sie auf dem Parkplatz des Motels mit einem Ball. Nelson durfte auch mitspielen und hatte viel Spaß dabei.
Das Auf und Ab der Gefühle, das Thatcher in diesen Tagen offenbar erlebte, verwirrte Nelson. Dass er den Jungen liebte, war deutlich zu erkennen, doch da war auch noch diese seltsame neue Wut, die ab und zu an die Oberfläche kam. Während die Einsamkeit, die bislang die Hintergrundmusik in Thatchers Leben gewesen war, durch seine Entdeckung, dass er einen Sohn hatte, viel intensiver zu Tage trat, schwächte sich die Freude ab, die Thatcher an seinem Dasein als ewiger Reisender gehabt hatte. Irgendwie kam er sich wie ein Geist vor, der bis in alle Ewigkeit auf den Landstraßen und Autobahnen seines riesigen Heimatlandes unterwegs war. Jedes Mal, wenn er den Jungen sah, kamen all die verwirrenden und ungestümen Gefühle aus seiner Kindheit, die er so lange unterdrückt hatte, wieder an die Oberfläche. Nelson war ein Segen, fand Thatcher. Diesen kleinen Hund hatte ihm Gott genau zur richtigen Zeit geschickt. Gott hatte gewusst, dass sein Sohn bald in sein Leben treten würde, und so hatte er ihm Nelson geschickt, damit dieser ihm half, die Neuigkeit zu verkraften. Nachts lag Thatcher oft stundenlang wach und streichelte den kleinen Hund, drückte ihn an sich.
Mittlerweile telefonierte er, sooft er nur konnte, mit seinem Sohn und hielt dabei immer Nelson im Arm, während er versuchte, mit dem Kind zu kommunizieren, das in sein Leben getreten war.
Doch es war Thatcher bewusst, dass es sehr schwierig werden würde, sein Leben so zu verändern, dass er den Jungen darin integrieren konnte. Plötzlich wünschte er sich all das, was er früher immer gehasst hatte. Er wollte sich zur Ruhe setzen und eine Familie gründen. Er wollte nicht mehr ständig auf Achse sein. Doch es war nicht leicht, sein Leben zu ändern. Wie sollte er seinen Lebensunterhalt verdienen, wenn er nicht mehr LKW fuhr? Und obwohl er den kleinen Jungen von ganzem Herzen liebte, war ihm bewusst, dass das nicht für seine Mutter galt. Sie war ein paar heiße Nächte lang eine tolle Partnerin im Bett gewesen, doch wenn er es recht bedachte, konnte er sich nicht vorstellen, dass ihre Beziehung mehr sein könnte als das. Da war er nun, fast vierzig Jahre alt, und führte ein Leben, das er sich selbst zuzuschreiben hatte. Auf einmal war ihm bewusst geworden, dass es nicht ganz das war, was er sich gewünscht hatte, doch ihm blieb gar nichts anderes übrig, als es so zu akzeptieren, wie es war. Kleine Veränderungen waren vielleicht möglich, aber eine Runderneuerung seines Lebens, wie bei einem alten Reifen, konnte er nicht mehr bewerkstelligen. Es frustrierte ihn, dass er seinem kleinen Sohn kein guter Vater sein konnte, und irgendwie hatte er das Gefühl, dass das auch die Schuld seiner eigenen Eltern war, obwohl er wusste, dass dieser Vorwurf ihnen gegenüber irrational und unfair war.
Eines Nachts hielt der LKW in einer kleinen Stadt in Montana namens Kalispell. An diesem Tag war Thatcher mit schlechter Laune aufgewacht. Nelson schlief seelenruhig auf einem Stapel Decken auf der Ladefläche, denn er kam nicht mehr oft nach vorn auf den Beifahrersitz, weil er spürte, dass Thatcher allein gelassen werden wollte.
Als sie in die Parkbucht des Rastplatzes einbogen, roch Nelson den Duft von Tannenbäumen. Thatcher parkte den LKW, hob den Hund heraus und
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