Nelson sucht das Glück
der ihn verhörte, sich um seinen Hund zu kümmern, wenn er Thatchers LKW zur Polizeistation abschleppte. Doch der Polizist war bereits Ende fünfzig und hatte eigene Probleme. Als er wenig später auf Thatchers Lastwagen kletterte, dachte er an seine Cholesterinwerte und seinen missratenen Sohn und machte sich folglich auch keine Mühe, den kleinen Hund zu verfolgen, der wie ein geölter Blitz aus dem Lastwagen schoss und im Wald verschwand. Er dachte, vielleicht würde er ja nach ihm suchen, wenn er den LKW zur Polizeistation gefahren hatte, die nur zweihundert Meter entfernt lag. Doch als er dort erst einmal eine Stunde damit zubringen musste, Nelsons Exkremente wegzuwischen, und seine Frau ihn anrief, um ihm mitzuteilen, dass seine Nudeln mit Käse zum Abendbrot kalt würden, beschloss der Polizist, Thatcher einfach zu sagen, der Hund sei ihm entwischt und er habe ihn auch nicht mehr wiederfinden können.
Thatcher brach in unkontrolliertes Schluchzen aus, als die Schwester im Krankenhaus ihm mitteilte, dass sein Hund aus dem LKW entwischt und nicht auffindbar sei. Er flehte sie an, ihm zu helfen, doch sie hatte nur wenig Mitleid mit ihm, weil sie die Cousine einer der Männer war, mit denen sich Thatcher geprügelt hatte. All die Schmerz- und Schlafmittel trübten sein Bewusstsein, und er träumte, er sitze in einer tiefen Grube mitten im Wald fest. Nelson stand oben an der Kante und bellte laut. Thatcher konnte nur hoffen, dass jemand ihn finden würde.
14
Auch der kleine Hund träumte. Sein Leben war kurz gewesen, sehr kurz, wenn man es mit dem Alter manch anderer Geschöpfe verglich, mit denen er sich diesen Planeten teilte, doch schon jetzt versteckten sich in dem Labyrinth seines Gehirns unzählige spektakuläre und detaillierte Erinnerungen, die aus einem komplizierten Netzwerk von Gerüchen bestanden. Wenn Nelson etwas roch, dann setzten sich all die Gerüche, ob süß oder beißend, denen er in seinem bisherigen Leben begegnet war, zu immer neuen und ungewöhnlichen Formen zusammen und knüpften Verbindungen zu den tiefen Gefühlen, den Hoffnungen und Ängsten, der Liebe und der Traurigkeit, die der junge Hund während seiner Zeit auf Erden empfunden hatte.
Nelson lag da und träumte. Seine Nase zuckte, während er auf einem verschlungenen Pfad von den süß duftenden Blumen und Gräsern auf Mrs Andersons Farm zu Vernons warmen Händen im Tierladen unterwegs war. Er träumte von den vielschichtigen holzigen Schichten des Flügels seiner großen Liebe. Die meisten seiner Träume waren aus der Sprache des Geruchs geflochten, doch in diesem Traum konnte er auch die allerhöchsten Töne ihres Pianos hören, die himmlischen Noten, von denen die Menschen immer nur das Echo vernehmen können. Der Duft des Holzes und die Töne des Klaviers waren schön, doch in seinem Traum wurden sie mehr und mehr von den düsteren und Furcht einflößenden Gerüchen und dem Scheppern und Klappern der Mülleimer und Stapel menschlicher Abfälle überlagert, die Nelson gezwungenermaßen hatte erkunden müssen. Und obwohl er überall in seinem Traum nach ihr suchte – seine große Liebe war nirgendwo zu sehen.
Thatchers Duft hingegen hing immer noch im Fell des Hundes und erfüllte sein ganzes Wesen. In der Seele des Hundes war der Mann machtvoll und präsent, und fast rechnete Nelson, der sich gerade in dem halb bewussten Zustand zwischen Schlafen und Aufwachen befand, damit, ihn gleich zu sehen. So wie einst Katey war Thatcher zum Mittelpunkt des täglichen Lebens von Nelson geworden. Der Hund sehnte sich nach einer geregelten Existenz, in der es auch räumlich ein Zuhause gab, doch während seiner langen Fahrten mit Thatcher hatte er gelernt, dass es nicht eines geographischen Zuhauses bedurfte, um sich geborgen zu fühlen. Thatcher hatte ihm dieses Gefühl gegeben, Wurzeln geschlagen zu haben, so sehr, wie Nelson Thatcher dabei geholfen hatte, sich daheim zu fühlen.
Als Nelson an diesem Morgen aufwachte, war Thatcher jedoch nirgendwo zu sehen. Der Hund lag unter den hohen Kiefern am Rand eines Waldes, der sich viele Kilometer weit erstreckte. Er schnupperte in die kühle Morgenluft. Bäume und Gräser konnten nie unangenehm riechen. Aus den Tiefen des Waldes wehten auch die Gerüche anderer Tiere zu ihm herüber – kleine Nagetiere, Vögel und andere Wesen, die Nelson nicht ausmachen konnte. Es waren Gerüche, die dem Geruch von Hunden ähnelten, jedoch irgendwie intensiver waren, wilder. Ganz leicht stellten sich
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