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Nelson sucht das Glück

Nelson sucht das Glück

Titel: Nelson sucht das Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Lazar
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Nelson die Nackenhaare auf, als ihm aus der Ferne auch die erregenden Gerüche von Wolf und Kojote in die Nase stiegen, und seine Nervenenden prickelten.
    Doch jegliche Gefahr schwand schnell wieder dahin, denn er nahm auch die vertrauten Gerüche der nahen menschlichen Siedlung wahr. Da war das lockende Aroma von Burgern auf Grills und von knusprigen Pommes frites. Da war frisch gemähtes Gras und Autos und Regen auf Teer und Holz, gehackt und behandelt und versiegelt, so wie es nur die Menschen tun konnten. Wenn die Menschen in ihren Behausungen und auf ihren Feuerstellen Holz benutzten, dann hatte es einen ganz eigenen Geruch, anders als der vom natürlichen Holz der Bäume, die wuchsen und lebendig waren, auch sie Kreaturen, die zu Nelsons kleinem Geruchsinventar gehörten. Er mochte den Geruch von Bäumen, doch der Geruch von Holz, das von Menschen behandelt worden war, bedeutete eine sichere Schlafstatt, und vor allem erinnerte er ihn daran, wie er unter dem Flügel seiner großen Liebe gelegen hatte.
    Der Hund richtete sich auf. Die Stadt war ganz nah. Als er am vergangenen Tag aus Thatchers LKW geflohen war, hatte er es aus Verzweiflung und ohne nachzudenken getan und sich erst unter dem Baum am Waldesrand ein Lager für die Nacht gesucht. Nun wanderte er langsam wieder zurück in Richtung Stadtmitte, holte tief Luft, auf der Suche nach Thatcher. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, ihn riechen zu können, und tatsächlich lag sein menschlicher Freund nur ein paar hundert Meter entfernt in einem Krankenhausbett und schlief fest. Doch das Schicksal sollte sie nie mehr zusammenführen.
    Nelson hatte wieder Hunger, aber dieses Gefühl rief nicht mehr die gleiche Angst und Verzweiflung hervor wie bei dem jungen Hund, der er einmal gewesen war. Aus dem guten Jahr, das er draußen in der Welt verbracht hatte, wusste er, dass er irgendwie immer etwas zu fressen finden würde. Hunger bedeutete ein dumpfes, leeres, schmerzhaftes Gefühl im Magen, doch als der Hund die süße Luft von Kalispell, dem kleinen Ort in Montana, einatmete, wusste er, dass es nicht von Dauer sein würde.
    Der Geruch von Hamburgern und Pommes frites, den er vorher erschnuppert hatte, kam von einer kleinen Hütte aus Rotholz, wo Trucker abstiegen und in einem großen Restaurant aßen, welches nicht nur Burger, sondern Steaks, Grillhuhn, Burritos und Pfannkuchen auf seiner Speisekarte hatte. Die Abfälle des Lokals wurden in einem großen Müllcontainer draußen entsorgt, der alle drei Tage geleert wurde und spätestens dann, wenn die Müllabfuhr kam, bereits zum Überlaufen voll war. Nelson wurde von dem Restaurant wie magisch angezogen, doch das lag nicht nur an dem Essensgeruch, sondern auch am Geruch der Fernfahrer. Natürlich war Thatchers Geruch unverwechselbar und einzigartig, aber er besaß auch Nuancen, die allen Lastwagenfahrern gemein waren: eine Kombination aus dem besonderen Schweiß, den diese Männer verströmten, wenn sie stundenlang in ihrem beengten Führerhaus am Steuer saßen, ein Geruch nach Klimaanlage, billiger Motelseife und einer endlosen Reihe von Fastfood-Mahlzeiten in den vielen Restaurants, genau solche, wie Nelson in dieser kleinen Stadt gerade eines gefunden hatte. Nelson rechnete immer noch damit, Thatcher hier vorzufinden, so wie er es jeden Morgen getan hatte, und deshalb war der Geruch der Fernfahrer, der hier in der Luft hing, tröstlich für den kleinen Hund.
    In dem Boden des alten Müllcontainers, in dem das Restaurant seine Abfälle entsorgte, war ein Loch. Ratten und andere kleine Tiere benutzten diesen Zugang. Nachdem er von seinen Monaten auf der Müllhalde von Albany bereits mit Müll vertraut war, gelang es Nelson schnell, sich sein Frühstück aus dem großen Container zu stibitzen. Zuerst fand er Kartoffelpuffer mit Spuren gebratener Eier und den Fettrand eines Rib-Eye-Steaks, das ein übergewichtiger Trucker nur ungern von seinem Fleisch abgeschnitten hatte. Alles war fein zubereitet und schmeckte Nelson, ganz abgesehen davon, dass es so leicht zu finden gewesen war. In der Küche lächelte eine dicke Dame, die gebürtige Mexikanerin Marta Herrera, vor sich hin, als sie den Hund sah, der genüsslich die Reste des von ihr zubereiteten Essens hinunterschlang. Überall sonst in der Stadt wäre ein streunender Hund in der Nähe von Abfall verscheucht worden, doch Marta kam aus Ciudad Juarez, wo Streuner zum Straßenbild gehörten und man ihnen stillschweigend gestattete, sich die Abfälle zu holen,

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