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Nelson sucht das Glück

Nelson sucht das Glück

Titel: Nelson sucht das Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Lazar
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fehlten auch Knöpfe, doch insgesamt war das Kleidungsstück so angenehm und vertraut, dass sie es für nichts in der Welt eingetauscht hätten, und eigentlich waren gerade sein Alter und die kleineren Makel, die einer Reparatur bedurft hätten, das, was es so perfekt machte.
    Als Herbert zweiundsiebzig Jahre alt war, bekam seine damals neunundsechzigjährige Frau Bauchspeicheldrüsenkrebs und starb kurz darauf. Seine Frau war eigentlich immer die stärkere der beiden gewesen, die sich derart hingebungsvoll um ihr gemeinsames Leben kümmerte, dass es undenkbar war, dass sie als Erste das Zeitliche segnen könnte. Sie selbst hatte die Überzeugung gehegt und gepflegt, dass sie ihn überleben würde, und ihm oft versichert, sie würde sich höchstpersönlich um die Räumung des Hauses kümmern und dafür sorgen, dass all seine verbliebenen Holztiere ein gutes Zuhause fanden. Sie würde Pläne machen, wie ihr kleiner Besitz am besten unter den drei Kindern und vier Enkeln aufzuteilen sei, die mittlerweile alle weit weg von Kalispell lebten.
    Herberts erste Reaktion nach dem Tode seiner Frau war, dass er das Geschehene einfach nicht wahrhaben wollte. Viele Stunden am Tag war er davon überzeugt, dass seine Frau immer noch bei ihm war. Ihr Geist saß neben ihm und schaute ihm dabei zu, wenn er sich sein Frühstück machte, und gab ihm Ratschläge. Und so wartete er, bis die Oberseite seines Pfannkuchens Blasen warf, bevor er ihn wendete, weil seine Frau ihm sagte, dann würde er am besten gelingen. Er vergaß nur deshalb nicht, beim Waschen Weichspüler zu verwenden, weil der Geist seiner Frau bei ihm stand und ihn sanft mit seinen mangelnden Fähigkeiten im Haushalt neckte. Spät in der Nacht schloss er ihr Kissen in die Arme, bevor er in einen unruhigen Schlaf verfiel, überzeugt davon, dass es seine Frau war, die immer noch bei ihm lag.
    Doch irgendwann, nach etwa einem Jahr, verließ auch der Geist seiner Frau das Haus, und Herbert Jones blieb mutterseelenallein zurück. Er war traurig, schrecklich traurig, und das jahrelang, doch Herbert arbeitete hart daran, diese Traurigkeit mit Routine zu überwinden. Er wusste noch sehr genau, wie die alltäglichen Rituale seiner Frau ihn all die Jahre glücklich und zufrieden gemacht und sie ihnen beiden dabei geholfen hatten, auch ohne viele Worte den Alltag zu meistern. Als sie noch gelebt hatte, warteten am Morgen, wenn er aufstand, bereits eine Tasse mit dampfendem Kaffee und zwei Löffeln Zucker sowie ein Schüsselchen Haferkleie mit ein paar Rosinen und heißer Milch auf ihn. Und jeden Abend freute er sich darauf, ihr die tägliche Fußmassage zu verpassen, die sie ebensosehr genoss wie er, auch wenn ihre Füße nach dem langen Tag manchmal etwas streng rochen.
    Früher hatte seine Frau die Einkäufe erledigt, und zwar ein Mal in der Woche, ein Ausflug, von dem sie meistens etwas erhitzt und mit drei oder vier Einkaufstüten beladen zurückkehrte. Als er nun vor der Aufgabe stand, nach ihrem Tod eine Alltagsroutine aufzubauen, wurde ihm schon bald bewusst, dass die Traurigkeit in ihm überwältigend sein würde, wenn er nicht jeden Tag eine Weile das Haus verließ. Und natürlich war körperliche Bewegung, wie schon seine Großmutter ihn gelehrt hatte, die Voraussetzung für einen gesunden Geist. Und so begann er, jeden Tag die paar hundert Meter von ihrem kleinen Haus, das am Rande eines Kieferwaldes lag, bis zur Hauptstraße von Kalispell zu Fuß zu gehen. Ganz langsam marschierte er dann auf der schmalen und gewundenen Landstraße in Richtung Stadt und machte oft an einem kleinen Gemischtwarenladen halt, um eine Tasse Kaffe und einen Hotdog oder eine Teigtasche mit Hühnchen zu verzehren. Dann kaufte er in dem Laden auch noch all die anderen Lebensmittel ein, die er brauchte, oder er ging in den Supermarkt, wenn es in dem kleinen Laden das Gewünschte nicht gab. Er widerstand der Versuchung, größere Mengen auf Vorrat zu kaufen, denn dann wären seine täglichen Spaziergänge sinnlos geworden.
    Nach seiner Runde in der Stadt schlenderte er nach Hause, in der Hand seine Einkäufe. In der Stadt kannten ihn alle, und viele wussten, dass man nach seinem täglichen Erscheinen die Uhr stellen konnte, denn es war stets halb eins, wenn er auf der Hauptstraße erschien, und Zeit fürs Mittagessen.
    Drei Jahre lang hatte Herbert diese Routine gepflegt. Im Allgemeinen war sie angenehm, und die Glückshormone, die durch die körperliche Bewegung ausgeschüttet wurden, genügten,

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