Nelson sucht das Glück
zwingen. Der geheimnisvolle Chor war auch außerhalb des Heimes noch zu hören, und Passanten blieben auf der Straße stehen, um ihm zu lauschen.
Rick stellte den Käfig ab und versuchte, den Hund zu beruhigen, indem er ihn kraulte und streichelte. Nelson hatte ganz vergessen, wie es war, von einem Menschen berührt zu werden. Zuerst wollte er nichts davon wissen und heulte einfach weiter, doch nach ein paar Minuten gelang es Rick mit seinen großen, warmen Händen und seiner leisen Stimme doch, den Hund zu beruhigen, und Nelson legte sich unterwürfig auf den Boden. Rick wollte gehen, doch da begann Nelson wieder zu heulen, und so blieb Rick, bis Angie kam, um den Hund zu baden. Sie öffnete die Käfigtür, und Nelson kroch langsam heraus. Er ließ Rick nicht aus den Augen.
Nelson hatte eine lange Zeit ohne Menschen gelebt. Angie hatte Erfahrung mit Hunden und näherte sich dem Tier mit ruhigem Selbstvertrauen. Nelson war verwildert, und er hatte Angst vor ihr, und so schnappte er nach ihr und streifte dabei ihre Hand. Sie trat einen Moment lang zurück und beobachtete ihn einfach nur, während sie ihre Hand desinfizierte. Dann legte sie sich, unter Ricks wachsamem Blick, auf den Boden und robbte ganz langsam auf Nelson zu, wobei sie leise auf ihn einredete. Sie lag etwa fünf Minuten so da, während Nelson sie genau beobachtete. Schließlich streckte sie die Hand aus, damit er an ihr schnüffeln konnte, was er auch tat. Nelson bebte vor Erregung. In dem Moment, wo er Angie roch und ihre Witterung tief in sich einsog, fühlte er sich an seine große Liebe erinnert. Es war ein machtvoller Duft, und irgendwie riss er die Mauern ein, welche die Zeit in der Wildnis in Nelsons Herz errichtet hatte.
Sanft leckte er die Hand, und Angie ließ es eine Weile zu. Als etwa eine Viertelstunde verstrichen war, hob sie den Hund hoch, und er wehrte sich nicht dagegen, dass sie ihn in warmem Wasser badete. Etwas Derartiges hatte er seit Jahren nicht mehr erlebt, und es beruhigte ihn. Nach all seiner Zeit in der Wildnis fühlten sich seine Knochen und Gelenke immer kalt an. Während das warme Wasser langsam über ihn hinwegfloss, massierte ihn Angie ganz behutsam. Sie musste das Wasser drei Mal auswechseln und benutzte verschiedene Shampoos. Sowohl sie als auch Rick waren erstaunt darüber, wie viel Dreck aus dem Fell des Hundes kam. Nach dem dritten Badegang hatte Angie schließlich das Gefühl, dass der kleine Hund allmählich sauber wurde. Sie rubbelte ihn mit einem Handtuch trocken und brachte ihn in den Käfig zurück. Sein Haar war lang und verfilzt und brauchte dringend eine Schur, doch damit würde sie warten, bis er ganz trocken war.
Nelson lag mucksmäuschenstill da. Rick war gegangen, das hatte er bemerkt, doch bei Angie fühlte er sich wohl. Genüsslich atmete er den frischen Duft seines Fells ein und war schon bald eingeschlafen. Kurze Zeit später weckte ihn Angie, und er begann wieder zu heulen, doch sie beruhigte ihn und setzte ihn auf den Tisch, auf dem sie die Hunde schor. Langsam rasierte sie das dicke, verfilzte Fell von seinem Körper. Als sie die Haut sah, musste sie schlucken. Sie hatte in ihrem Leben schon viele magere Hunde gesehen, doch der hier war wirklich nur noch Haut und Knochen. Sie konnte sogar noch die Umrisse der Wunde erkennen, dort, wo sich früher sein Bein befunden hatte. Sanft streichelte sie ihn und fragte sich, was er wohl für eine Geschichte hatte.
Der dreibeinige Hund blickte zu ihr auf, und sie schauten sich in die Augen. Natürlich liebte Angie Hunde, doch bislang war es nur selten vorgekommen, dass sie wegen einem der vielen, vielen Vierbeiner, die im Tierheim in ihrem kleinen Hundesalon landeten, Tränen vergossen hätte. Doch da war etwas im Blick dieses Hundes, das sie berührte. Als sie vorsichtig die Haare aus seinem Gesicht wegrasierte, schauten seine Augen sie mit noch größerer Intensität und Traurigkeit an als zuvor. Zum ersten Mal sah sie die einzigartige Färbung von Nelsons Fell. Seine Augen blickten traurig, doch in ihnen lag noch immer die schier unbändige Neugier, die Nelson den Menschen schon immer vermittelt hatte.
Von Nelsons Rute nahm Angie nicht viel Fell weg, denn es war nicht besonders verfilzt und nach drei Badegängen auch recht sauber. Sie streichelte ihm über den Kopf, und als er ihr mit seinem schönen großen Schwanz zuwedelte, gab sie dem kleinen Hund einen Kuss. Sie wusste, dass Rick ihm bei seiner Ankunft einen Napf mit Trockenfutter hingestellt
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