Nelson sucht das Glück
von Box zu Box und schauten sich die Hunde an. Wenn ihnen einer gefiel, zeigten sie darauf, und einer der Mitarbeiter des Heims holte den Hund aus der Box und brachte ihn in einen nahe gelegenen Garten, wo der Mensch eine Weile mit ihm spielen konnte. Manchmal wiederholte sich das mit mehreren Tieren. Wenn ein Mensch sich für ein Tier entschieden hatte, wurde es aus der Box geholt, kam an die Leine und durfte mit seinem glücklichen neuen Besitzer ins Büro gehen, wo der Papierkram erledigt wurde. Nelson sah dabei zu, wie ein Hund nach dem anderen schwanzwedelnd weggeführt wurde.
Nelson war ein Hund, und so war immer Hoffnung in seinem Herzen. Wenn die Menschen durch den Präsentationsraum gingen, schaute er sie mit seinen leuchtenden Augen an und wedelte leicht mit seinem flauschigen Schwanz. Manchmal erkannte er ein Lächeln auf ihren Gesichtern, doch sie liefen immer an ihm vorbei. Er wusste nicht, warum. Erst als die Tage vergingen und sich sein Körper allmählich von den Strapazen seines Streunerlebens erholte, erfasste ihn eine leise Beklommenheit.
So wie Rick hatte auch Angie, als sie Nelson sah, sofort gewusst, dass es extrem schwierig sein würde, einen Menschen zu finden, der den dreibeinigen Hund zu sich holen würde. Sie sprach nicht mit Rick darüber, da sie fürchtete, der alte Streit zwischen ihnen könnte wieder aufkommen, ob es nicht besser sei, manche Hunde laufen zu lassen. Doch wenn sie nachts neben ihrem schlafenden Mann im Bett lag, sah sie oft das Gesicht des kleinen Hundes. Wie so viele, die in einem Tierheim arbeiteten, wurde auch sie immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob sie einen bestimmten Hund zu sich nach Hause nehmen sollte, wenn klar war, dass er kein neues Herrchen oder Frauchen finden würde. Doch sie wohnte in einem Apartment, in dem Haustiere nicht erlaubt waren. In Gedanken ging sie all ihre Verwandten durch, die vielleicht in Betracht ziehen könnten, ein so ungewöhnliches Haustier bei sich aufzunehmen.
Rick befand sich in einer ähnlichen Situation. Er konnte Nelson nicht nehmen, weil er allein in einer Wohnung lebte. Wer sollte sich tagsüber um den Hund kümmern? Zur Arbeit konnte er ihn nicht mitnehmen. Familie hatte er keine, doch er fragte ein paar Freunde, ob sie Nelson nehmen könnten.
Auch die anderen Mitarbeiter des Heims entwickelten eine besondere Zuneigung zu dem Hund, doch als sich das Ende der Zweiwochenfrist näherte, hatte sich immer noch niemand gefunden, der ihn haben wollte. Angie wusste das, und Rick auch. Nelson selbst hatte keine Ahnung davon, dass ihm nur noch wenige Tage zum Leben blieben. Und doch machte sich in seinem Inneren langsam ein eisiges Gefühl breit. Sieben lange Jahre als Streuner hatten seine Sinne geschärft, und so spürte er, wenn sich eine Bedrohung näherte. An seine Flucht aus dem Tierheim in Montana erinnerte er sich nicht mehr. Ihm war nur der Gestank des Todes in Erinnerung geblieben, der jenen Ort des Grauens durchdrungen hatte. Manchmal hätte es auch in Chico die Möglichkeit gegeben, rasch aus dem Käfig zu schlüpfen und wegzulaufen. Doch das Heim war größer, es gab mehr Angestellte, und Nelson sah nie eine Lücke, durch die er hätte entkommen können.
In Nelsons kurzem und ereignisreichem Leben hatte es so manches Elend und viele Abenteuer gegeben, einige, an die er sich gerne zurückerinnerte, und andere, die schmerzlich waren. Im Heim gab es Hunde, die einfach nur auf dem Boden lagen und des Lebens müde waren. Man hatte sie zu oft geschlagen, oder sie hatten zu lange gehungert. Vielleicht würde es ihnen Erleichterung bringen, wenn man sie in der Tötungsstation einschläferte. Doch für Nelson galt das nicht. Ganz gleich, welch finstere Zeiten er in seinem Leben erlebt hatte und welch schlimme Erinnerungen ihn bedrückten, er empfand immer noch unbändige Freude, wenn er Gras roch, und beim Duft guten Essens schlug sein Herz höher. Liebevolle Momente mit Menschen waren und blieben etwas, an dem der dreibeinige Hund große Freude hatte. Und er war noch immer neugierig auf die Welt da draußen, die er noch nicht erkundet hatte. Es gab Momente, in denen Nelson ganz allein war, sich mit geschlossenen Augen ausruhte und spürte, wie er langsam ein- und ausatmete. Dabei betrachtete er das Wunder des Lebens nicht mit denselben Augen wie ein Mensch, und er philosophierte auch nicht über Gott und die Welt. Doch das Atmen war dennoch eine mächtige und tiefgreifende Erfahrung für das kleine Tier, und es besiegte
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