Nelson sucht das Glück
als Worte halfen ihm die sanfte Berührung einer Hand oder eine Umarmung. Worte hingegen waren in Zeiten tiefster Trauer ziemlich nutzlos.
Verlust ist Verlust, und Trauer ist Trauer, hatte er sich gesagt, als auch seine Frau Laurie gestorben war. Er versuchte, sich einzureden, dass der Verlust seines Vaters und dann der von Laurie sich qualitativ nicht allzu sehr voneinander unterschieden. Und doch fühlte es sich anders an. Bei Laurie war zu seiner Trauer auch noch das Gefühl hinzugekommen, betrogen worden zu sein, betrogen um all die Jahre, die er noch mit ihr hätte verbringen können, um die Kinder, die sie noch hätten bekommen können, und um das gemeinsame Altwerden. Dieses Gefühl, betrogen worden zu sein, war stark und tief, und es bildete zusammen mit seiner Trauer eine ungesunde Mischung. Monatelang waren die Gefühle in ihm immer wieder Amok gelaufen, bevor sie sich endlich beruhigten, und obwohl seine Mutter und seine Freunde ihr Bestes taten, um ihn zu trösten, erinnerten ihre Versuche ihn nur ständig daran, dass es eben nicht Laurie war, die da war, um ihn zu trösten, so wie sie es beim Verlust seines Vaters getan hatte.
Das Einzige, was Jake davor bewahrt hatte, zusammenzubrechen, war sein Sohn gewesen, denn er war entschlossen, ihm in jeder Minute, die er mit ihm verbrachte, ein starker Vater zu sein. Ohne Oliver hätte sich Jake vielleicht aufgegeben, doch so hielt er um der Liebe zu seinem Kind willen alles zusammen, so gut er konnte. Als Nelson zu ihnen kam, ließ einiges von dem Druck nach, den Jake empfunden hatte, um seinem Sohn bei der Bewältigung des Todes seiner Mutter zu helfen. Nelsons Liebe war unerschöpflich, und er sah deutlich, wie glücklich und gelöst Oliver durch den kleinen, dreibeinigen Hund war.
Etwa ein Jahr nach Lauries Tod begann Jakes Mutter ihn zu bedrängen, er sollte doch wieder beginnen, sich nach anderen Frauen umzuschauen. Auf Vernunftebene begriff Jake, dass dies wahrscheinlich richtig gewesen wäre. Er war ein gut aussehender Mann, und es gab jede Menge Frauen, die gerne mit ihm ausgegangen wären. Ein oder zwei Mal versuchte er es auch. Einmal hatte er sogar eine Frau über Nacht nach Hause mitgenommen. Doch er hatte es nicht über sich gebracht, mit ihr zu schlafen, und sie war wieder gegangen. Er hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er der Frau, die recht nett gewesen war, etwas Derartiges zugemutet hatte. Und so hatte er beschlossen, mit der Partnersuche aufzuhören, bis er sich wirklich bereit dafür fühlte. Für Norma, die am liebsten eine ganze Schar von Enkelkindern gehabt hätte, war das eine Enttäuschung. Doch Jake sagte ihr, so werde es gehen und nicht anders.
Nelson war etwa sechs Monate bei Oliver und Jake, als sich der Todestag von Laurie zum ersten Mal jährte. Zufällig war es ein Sonntag, und so zogen Jake und Oliver ihre besten Kleider an und besuchten das Grab von Jakes Vater. Lauries Asche war am Fluss in alle Winde verstreut worden, doch Jake hatte das Gefühl, er brauche einen besonderen Ort, wo er an diesem Tag sitzen könnte. Er kaufte einen großen Strauß bunter Blumen und legte sie auf das Grab. Dann setzte er sich auf die Grabsteinkante, und Nelson hüpfte ihm auf den Schoß, als wollte er ihn trösten. Oliver weinte ein wenig, doch Nelson leckte ihm die Hände, und so war er bald abgelenkt. Nelson und Oliver spielten miteinander, während Jake etwa eine Stunde am Grab saß.
Nelson dachte nicht besonders oft über den Verlust seines Beines nach. Gelegentlich erinnerte ihn eine bestimmte Duftnote in der Luft an die Zeit, als er noch auf vier Beinen gegangen war. Jetzt jedoch hatte er nur noch drei, und für ihn fühlte sich das ganz natürlich an. Manchmal, in kalten Nächten, juckte die Narbe von seiner Amputation ein wenig, oder ein dumpfer Schmerz pochte darin. Dann bemerkten Jake und Oliver, wie er sich an der Stelle leckte, und gaben ihm das Schmerzmittel, das die Tierärztin ihm auf ihre Bitte hin verschrieben hatte. Als eher kleiner Hund hatte Nelson eine deutlich höhere Lebenserwartung als größere Tiere seiner Art und würde noch viele gesunde Jahre genießen können, bevor ihn einige der Zipperlein ereilten, an denen größere Hunde schon viel früher litten. Eine der größten Hunderassen, die Dänische Dogge, lebte nur etwa so lange wie Wölfe, nämlich sechs oder sieben Jahre, selbst wenn sie ein gutes, liebevolles Zuhause hatte. Jake und Oliver wussten nicht genau, wie alt Nelson war, obwohl ihre
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