Nelson sucht das Glück
Norma nicht besonders begeistert von der Tatsache gewesen, dass der Hund bei ihm im Bett schlief, weil sie es für unhygienisch hielt. Doch als sie Nelson mehr und mehr lieben lernte, hörte sie schon bald auf, sich darüber zu beschweren. Meist verbrachte Oliver mindestens eine halbe Stunde damit, mit Nelson auf dem Bett zu spielen, nachdem sie ihn ein letztes Mal aus dem Haus gelassen hatten, damit er sein Geschäft machen konnte. Von Zeit zu Zeit setzte sich auch Jake zu Oliver aufs Bett und spielte mit ihnen. Eines Samstags hatte er in einem Großmarkt eine große Plüschratte gefunden, die fortan zu Nelsons abendlicher Routine gehörte. Er stürzte sich gerne auf die Ratte und balgte mit ihr, und Oliver tat dann so, als wollte er sie ihm abnehmen, woraufhin der Hund spielerisch knurrte. Oliver und Jake amüsierten sich köstlich über die Kapriolen des kleinen Hundes, obwohl sie nicht wissen konnten, dass er vor vielen Jahren mit seinem Frauchen ein ähnliches Ritual gehabt hatte. Auch wussten sie nicht, dass er einmal zugesehen hatte, wie Wölfe andere Tiere töteten, und dass die Entscheidung, lieber mit Plüschtieren zu spielen, Ausdruck von Nelsons friedfertigem Charakter war. Wenn Jake seinem Sohn gute Nacht sagte, nahm er ihn in die Arme, und Oliver schloss die Augen, Nelson dicht bei ihm. Er fand das leise Schnarchen des Hundes tröstlich. Oft fragte er seinen Vater, was denn Hunde wohl träumten, und Jake sagte ihm, anders als Menschen träumten Hunde in Gerüchen.
Manchmal träumte Nelson schlecht, doch seit er bei Jake und Oliver leben durfte, waren es meist glückliche Träume, die er hatte. Noch immer träumte er von Katey, seiner großen Liebe, und wenn er dann aus einem solchen Traum aufwachte, war die Sehnsucht nach ihr groß. Er liebte Jake und Oliver und Großmutter Norma, doch er war ein Hund mit treuem Herzen, und selbst nach all diesen Jahren wäre er am liebsten wieder bei seiner großen Liebe gewesen, um sie zu beschützen, ihr zu dienen, sie glücklich zu machen, sie zu lieben. Dieser Wunsch war so groß, wie er es immer gewesen war. Manchmal träumte er, sie sei zusammen mit ihm und Oliver und Jake im Haus, doch so sehr er später nach ihr suchte, er konnte sie nicht finden. Auch träumte er manchmal, dass Don versuchte, ihr wehzutun, und er war der Wolfsvater, der sie vor Dons Schlägen schützte. Oder da war der Todesgestank aus dem Tierheim in Montana, der Katey einhüllte, und er konnte das Adrenalin in ihren Adern riechen, wenn sie um ihr Leben rannte. Dann bellte Nelson laut im Traum, doch der Gestank des Todes ging einfach nicht weg. Wenn er dann aufwachte, war die Sehnsucht nach ihr besonders groß. Er schnüffelte in Olivers Zimmer umher, hörte das gleichmäßige Atmen des Jungen, roch seinen Atem. Und er leckte ihm mit sanfter Zuneigung das Gesicht. In dem Zimmer war es still und warm, Nelsons Aufregung legte sich wieder, und er schlief ein. Dennoch kehrten die Träume immer wieder zurück.
37
Den ersten großen Kummer seines Lebens hatte Jake erlebt, als er einige Jahre, bevor Nelson zu ihnen kam, seinen Vater verloren hatte. Davor war der Tod für ihn etwas Abstraktes gewesen. Wenn Freunde oder Bekannte jemanden aus ihrer Familie verloren, hatte er mit ihnen getrauert, doch erst nach dem Verlust seines Vaters lernte er wirklich Schmerz und Kummer kennen. Dieses Gefühl des Verlusts zu beschreiben, war schier unmöglich. Einer seiner Freunde hatte einmal gesagt, es sei eine so einzigartige Erfahrung, ein Elternteil zu verlieren, dass andere sie nicht nachvollziehen könnten, bevor sie ihnen selbst widerfuhr. Jake hatte das als sehr präzise Beschreibung empfunden. Die Trauer war eher eine körperliche als eine mentale Erfahrung. Ja, die Gefühle waren gewaltig, aber viel schlimmer war, dass man sich auch körperlich ausgeliefert und hilflos fühlte und einem zum Beispiel zu den unmöglichsten Zeiten Tränen in die Augen stiegen. Trauer war eine schmerzliche und heftige Erfahrung, die sich wie etwas Archaisches anfühlte.
Seine Frau Laurie hatte ihm nach dem Tod seines Vaters beigestanden und ihn getröstet. Bevor er seinen Vater verloren hatte, hatten ihm oft die Worte gefehlt, wenn er bei einem Todesfall jemandem sein Beileid aussprechen wollte. Doch als er seinen eigenen Vater verlor, war ihm bewusst gewesen, dass ein Trauernder gar keiner Worte bedurfte. Was er brauchte, war ein Mensch, der bei ihm blieb und ihm zeigte, dass er nicht allein auf der Welt war. Viel mehr
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