Nelson sucht das Glück
behaupteten, das sei schlecht für den Magen der Tiere. Andere wiederum behaupteten jedoch, Hundefutter sei eine menschliche Erfindung, nicht älter als hundert Jahre, während der Hund sich über die Jahrtausende weiterentwickelt habe, indem er menschliche Essensreste fraß. Jake befürwortete das letztere Argument, doch eigentlich hatte er auch keine andere Wahl, denn Hundefutter fraß Nelson nicht mehr.
Jake und Oliver gaben ihm Reste von Hühnchen und anderem Fleisch zu fressen, außerdem Reis und Tortillas. Jake hatte gehört, Karotten seien auch bei Hunden gut für die Augen, und Nelson liebte sie. Er kaute gerne auf Möhren oder Apfelstückchen herum. Jake vermutete, dass sie ihn an Knochen erinnerten. Oft gaben sie ihm auch Reste ihres eigenen Essens, allerdings nichts allzu stark Gewürztes. Jake achtete darauf, alles gut zu garen, damit keinerlei Keime mehr darin waren, und Nelson fraß mit Begeisterung. Oliver liebte Pizza und entdeckte schon bald, dass Nelson diese Vorliebe mit ihm teilte. Am Anfang gaben sie ihm oft kalte Pizzareste vom Vortag, doch schon bald bekam er am Wochenende seinen Teil, solange sie noch warm war. Oliver riss ein Stück in kleine Teile, die Nelson voller Genuss verspeiste.
Jeden Nachmittag, wenn Oliver aus der Schule kam, gingen seine Großmutter Norma und er mit dem Hund spazieren. Norma war bereits über achtzig Jahre alt und hatte eine neue Hüfte. Deshalb ging sie eher langsam, doch das machte Nelson nichts aus. Er nahm sich die Zeit, alles in der Nachbarschaft genauestens zu beschnüffeln. Jake und Oliver lebten in einem Viertel, das irgendwo zwischen einem Arbeiterviertel und einem Mittelklassevorort lag, eine Gegend mit kleinen Häusern, einer gemischten Bevölkerung und einer gutnachbarschaftlichen Atmosphäre. Hier lebte eine ganze Reihe von Hunden, und Nelson lernte sie alle nach ihrem Geruch zu unterscheiden. Manche beschnüffelten ihn eifrig, wenn er sie auf der Straße traf. Die Großmutter, der Junge und der dreibeinige Hund wurden zu einem wohlbekannten Anblick in der Nachbarschaft. Manchmal glotzten die Menschen Nelson wegen seiner drei Beine an, doch viele waren auch beeindruckt davon, dass er seine Behinderung eigentlich gar nicht wahrzunehmen schien.
Auch Norma entdeckte bald ihre Liebe zu dem Hund, den sie unter dem Namen Jupiter kannte. Sie war eine einfache Frau, die in einer kleinen Stadt in Mexiko aufgewachsen und mit sieben Jahren in die USA ausgewandert war. Fast jeden Morgen saß sie mit dem Hund auf einer kleinen Schaukel in Jakes Garten. Der Hund schlief auf ihrem Schoß, bellte ab und zu, wenn er Geräusche hörte oder ein paar Vögel vorbeiflogen. Sobald er aufwachte und herumzuschnüffeln begann, ging sie manchmal eine Weile ins Haus, wo sie beim Geschirrspülen Radio hörte. Norma liebte die alten Songs und summte mit.
Norma wohnte nicht bei Jake, sondern in einer kleinen Wohnung in der Nähe, und an den Tagen, wenn die Zipperlein des Alters ihr allzu sehr zu schaffen machten, kam sie erst zu ihm, wenn Oliver aus der Schule nach Hause zurückkehrte. An solchen Tagen blieb Nelson allein draußen im Garten, dessen Türen Sicherheitsschlösser hatten, oder an kälteren Tagen in einer kleinen Waschküche im hinteren Teil des Hauses. Von seiner eigenen Verletzlichkeit hatte er nur wenig Ahnung, und so übernahm er schon bald die Rolle des Beschützers des Hauses, wenn Oliver, Jake und Norma nicht da waren. Morgens bellte er den Postboten oder auch andere Besucher an, die zum Haus kamen, wenn niemand da war – Zeugen Jehovas, Vertreter oder Freunde. Jake schnalzte vor Freude mit der Zunge, wenn er von den Nachbarn hörte, was für ein großer Beschützer des Hauses der kleine Hund war.
Wenn Oliver oder Jake nach Hause kamen, sprang Nelson aufgeregt umher und wedelte mit dem Schwanz. Seine Rückverwandlung in ein Haustier war schnell vonstattengegangen, denn nach genau diesem Leben hatte er sich immer zurückgesehnt. In seinem Gehirn waren die Erinnerungen an Tausende und Abertausende von Gerüchen abgespeichert, die ein durchschnittlicher Haushund niemals in die Nase bekommen hätte. Sie erfüllten bei Nacht seine Träume, und manchmal nahm er sie ganz schwach in den Brisen wahr, die aus der Nachbarschaft kam. Doch nach der Wildnis oder einem Leben als Streuner sehnte er sich nie zurück.
Nachts durfte Nelson zu Oliver aufs Bett. Mittlerweile schlief der Junge wieder von neun Uhr abends bis morgens um halb sieben. Zuerst war seine Großmutter
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