Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht
Ergebnis zu kommen — aber ich war doch ziemlich sicher, dass sie nur zwei Dosen mitgebracht hatte. Schließlich hatte ich ihr ja sogar leichtsinnigerweise versprochen, den nächsten Raubzug in die finsteren Küchengewölbe Burg Frankensteins hinab zu übernehmen, um Nachschub zu holen.
Was nichts anderes bedeutete, als dass jemand hier gewesen war. Judith?
Mittlerweile doch deutlich mehr beunruhigt, als ich zugeben wollte, ließ ich die Coladose sinken und betrachtete das zerwühlte Bett. Wenn man bedachte, womit wir uns in der letzten halben Stunde die Zeit vertrieben hatten, war es eigentlich ein kleines Wunder, dass das ganze Ding nicht einfach zusammengebrochen war, aber der Anblick weckte auch noch einen anderen Gedanken in mir, und der war nicht annähernd so angenehm wie die Erinnerung an Judiths warme Haut unter meinen Lippen und das Kitzeln ihrer Haare an meinem Bauchnabel. Zumindest ich war hinterher praktisch sofort eingeschlafen, und ich vermutete, Judith ebenfalls. Wenn jemand hereingekommen war und uns Arm in Arm liegend im Bett gesehen hatte …
Albern! Meine neu gewonnene Familie war mir herzlich egal, und es konnte mir erst recht egal sein, was die anderen von mir dachten oder über mich redeten.
Nachdenklich hob ich die Coladose wieder vor das Gesicht und starrte sie an, als müsste ich es nur lange genug tun, um alle Antworten von ihr zu bekommen, die ich haben wollte. Und tatsächlich blitzte für den Bruchteil einer Sekunde ein Bild vor meinem inneren Auge auf, aber es verschwand zu schnell, um es wirklich zu erkennen. Alles, was zurückblieb, war ein ungutes Gefühl und vielleicht die Ahnung einer Erinnerung an etwas Großes, Kuppelartiges, unter dem ich mich bewegt hatte, verfolgt von bizarren Schatten und schlagenden Flügeln …
Natürlich war es nur die Erinnerung an den verrückten Alptraum, den ich gehabt hatte. Was sonst?
Strafend musterte ich die Getränkedose in meiner Hand.
»Nun sag schon, Schätzchen«, sagte ich leise. »Wer hat dich hierher gebracht?«
Nein, die Coladose antwortete nicht — aber dafür kam ich mir plötzlich noch hilfloser und verrückter vor als bisher. Ich stand tatsächlich mitten in der Nacht, nur in Unterhose, T-Shirt und einer Socke da und sprach mit einer Dose Cola! Und da machte ich mir Sorgen, ob jemand hereingekommen war und Judith und mich nebeneinander im Bett liegend gesehen hatte?
»Also gut.« Ich bedachte die Dose mit einem neuerlichen strafenden Oberlehrer-Stirnrunzeln, stellte sie neben ihre beiden geleerten Schwestern auf den Nachttisch und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. »Wenn du auf stur schaltest, dann trinke ich dich eben nicht. Selbst Schuld. Dann werd doch schal!«
Hoch erhobenen Hauptes und stolz wandte ich mich ab, bückte mich nach meiner zweiten Socke und schaffte es irgendwie, sie auf einem Fuß hüpfend und in weniger als fünf Minuten anzuziehen, und das sogar, ohne auf die Nase zu fallen. Pullover und Jeans gingen ein wenig schneller, aber aus irgendeinem Grund fand ich meine Schuhe nicht.
Schließlich entdeckte ich sie im hintersten Winkel unter dem Bett. Wie waren sie dahin gekommen? Um sie zu bergen, hätte ich auf dem Bauch unter meinem Bett herumrutschen müssen und dann wieder aufstehen … Ich dachte an den Schwindelanfall von vorhin. Nein, so was brauchte ich nicht! Also verließ ich das Zimmer auf Socken. Schließlich waren es nur ein paar Schritte bis zu Judiths Suite.
Draußen war es vollkommen dunkel. Irgendwo am anderen Ende des Flurs, ungefähr ein halbes Par-sec entfernt, glomm zwar eine 5-Watt-Birne, aber der schmutzig gelbe schwammige Schein schien die Dunkelheit ringsum eher noch zu vertiefen; Beute, die eine ganze Armee hungrig wimmelnder Finsternisdämonen anlockte. Der Gedanke klang verrückt, aber ganz genau das war das Bild, das mir in diesem Moment durch den Kopf schoss. Und das war nicht alles. Waren da Stimmen? Ein lautloses, hechelndes Flüstern, gerade an der Grenze des nicht mehr wirklich Hörbaren, aber dennoch da, und etwas wie schlurfende Schritte, als käme etwas heran, etwas Großes, Fauliges, was sich mühsam, aber auch ebenso unaufhaltsam heranschleppte …
Verrückt. Normalerweise neigte ich eigentlich nicht zu solch morbiden Gedanken, aber auch diesmal war es wortwörtlich das, was mir durch den Kopf ging. Dieser unheimliche Alptraum schien ein paar Alien-Eier in meinem Unterbewusstsein abgelegt zu haben, die jetzt nach und nach aufplatzten und ihre hässliche
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