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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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freien Platz neben Judith an. Erstaunlicherweise wich sie meinem Blick aus — was nichts daran änderte, dass sie einen durch und durch hinreißenden Anblick bot; obwohl Ellen ganz bestimmt nicht zufällig zwei Schritte hinter ihrem Stuhl stand und nichts anderes tat, als einfach nur fantastisch auszusehen, und das auf eine Art, die jedermann erkennen ließ, dass sie es wusste. Sie trug einen knapp sitzenden, dunkelrot gemusterten Pyjama, der keinen Millimeter Haut sehen ließ, der Fantasie aber dafür umso mehr Nahrung gab, und sie hatte irgendetwas mit ihrem Haar gemacht, was es zu einer nicht wirklich erloschenen roten Flamme werden ließ, die sich über ihre Schultern ergoss. Rothaarige Hexe oder nicht, sie war eine wirklich schöne Frau und ich war schließlich auch nur ein Mann.
    Trotzdem ging diese Runde eindeutig an Judith. Es war kein fairer Kampf. Neben Ellen hätte einfach jede andere Frau ausgesehen wie Aschenputtel, und um in Ellens eigener Terminologie zu bleiben: Vielleicht wäre Miss Superweib nicht schlecht beraten gewesen, sich männliches Revierverhalten etwas genauer anzusehen. Einen wehrlosen Gegner niederzuknüppeln brachte keine Ehre, sondern dem Verlierer eher das Mitleid und die Sympathien der Zuschauer.
    Nicht dass es nötig gewesen wäre: Judith trug jetzt ein langes, seidenes Nachthemd, das kaum mehr von ihrer Haut sehen ließ als Ellens Schlafanzug, dennoch aber irgendwie den Eindruck erweckte, als wäre es durchsichtig, und hatte das Haar zu einem Wirrwarr hochgesteckt, den sie vermutlich einfach nur als praktisch empfand, ich selbst aber außergewöhnlich hinreißend. Trotzdem wäre Pummelchen (ich nahm mir vor, dieses Wort auch in Gedanken nicht mehr zu benutzen, zum einen war es unfair, und zum anderen bestand durchaus die Gefahr, dass es mir irgendwann aus Versehen herausrutschte), wäre Judith nicht Judith gewesen, wäre sie nicht auch immer gut für einen Stilbruch. Über ihrem zweifellos mit großer Sorgfalt ausgesuchten Nachthemd trug sie ein aufgeknöpftes Herrenhemd.
    Mein Hemd.
    Darüber hinaus fiel sie in ihrem Aufzug allerdings nicht weiter auf. Auch ich selbst war ja mehr aus — als angezogen, und Ed hatte sich in Boxershorts, ein um mindestens zwei Nummern zu großes Axelshirt Marke Bruce Willis und kniehohe weiße Socken geworfen, selbstverständlich aber nicht einmal jetzt auf seinen albernen Cowboyhut verzichtet, und um das Maß voll zu machen, trug er eine Kette um den Hals, an der zwei Erkennungsmarken aus Blech hingen, wie sie Soldaten trugen. Stefan war kaum weniger flüchtig angezogen — Bermuda-Shorts, T-Shirt und Turnschuhe, nur dass dieses Outfit bei ihm passend aussah, und Maria … war eben Maria. Sie trug einen unscheinbaren Blümchenpyjama und darüber einen ausgefransten alten Morgenmantel, der wie ein Beutestück aus einer längst vergangenen Beziehung ausgesehen hätte — hätte man sich vorstellen können, dass sie irgendeine Art von Beziehung haben könnte … Ihr Haar war in Unordnung, und so müde, wie sie aussah, erweckte sie ganz den Eindruck, zu jenem pflichtbewussten Teil der Bevölkerung zu gehören, der stets vor Mitternacht in die Kiste steigt, um dann mit den Hühnern wieder aufzustehen. Oder vor ihnen, um sie zu wecken.
    »Konntest du auch nicht schlafen?«, fragte Ed, der endlich auch begriffen hatte, dass ich ihm nicht den Gefallen tun würde, auf seine Bemerkung von vorhin einzugehen.
    »Ich hatte Kopfschmerzen«, antwortete ich.
    »Und da bist du heruntergekommen, weil es hier ja zweifellos einen gut sortierten Medikamentenschrank gibt — verstehe«, stichelte Ed.
    Wider besseres Wissen setzte ich zu einer scharfen Antwort an, aber Ellen kam mir zuvor. »Ich kann dir ein Aspirin geben«, sagte sie.
    »Gern.« Aspirin. Eine wunderbare Idee. Während der letzten Minuten hatte ich meine Kopfschmerzen beinahe vergessen, aber das hieß nicht, dass sie nicht da waren. Ich schenkte Ed, der Judith und mich abwechselnd mit anzüglichen Blicken musterte, einen bösen Blick, drehte mich dann demonstrativ auf dem Stuhl herum und griff nach Judiths Hand.
    Ihre Reaktion überraschte mich. Sie sah auf und wirkte für einen Moment fast unangenehm berührt. Hatte ich irgendetwas falsch verstanden?
    Bevor ich eine entsprechende Frage stellen und mich möglicherweise vollends zum Narren machen konnte, beugte sich Ellen zwischen Judith und mir hindurch, um ein Glas Wasser auf den Tisch zu stellen, womit sie den Blickkontakt zwischen uns unterbrach —

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