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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Traum hatten. Ganz genau denselben.«
    »Das ist ein Scherz«, sagte ich. Ich versuchte zu lachen, aber es misslang kläglich. Fast Hilfe suchend wandte ich mich an Judith, aber ich erntete auch von ihr nur ein stummes Kopfschütteln.
    »Keinem von uns ist im Moment nach Scherzen zumute, Kleiner«, sagte Stefan.
    »Aber das ist doch völlig unmöglich«, widersprach ich.
    Noch vor zehn Sekunden hätte ich meine Seele für einen Zug aus einer Zigarette verkauft; jetzt vergaß ich sogar, dass ich eine brennende Zigarette zwischen den Lippen hatte, verschluckte mich prompt an dem bitteren Rauch und bekam einen Hustenanfall. Ellen zog verächtlich die Brauen zusammen und Eds schadenfrohes Grinsen konnte ich regelrecht hören. Judith schlug mir zwei- oder dreimal mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter; nicht dass es irgendetwas half, aber nach dem letzten Schlag ließ sie die Hand in meinem Nacken liegen, wo sie ein zwar durchaus angenehmes, in diesem Moment aber ebenso unwillkommenes Kribbeln auslöste. Es fiel mir schwer, ihren Arm nicht ganz instinktiv abzustreifen, zumal in Ellens Augen ein neues, ganz unzweifelhaft spöttisches Glitzern entstand.
    Andererseits — warum nicht? Vermutlich war ich ohnehin der Einzige hier im Raum, der sich ernsthaft eingebildet hatte, dass nicht jedermann wusste, unter welchen Umständen ich eingeschlafen war.
    »Nun mal langsam«, sagte ich, nachdem ich wieder halbwegs zu Atem gekommen war — und einen weiteren Zug aus meiner Zigarette genommen hatte, der um ein Haar den nächsten Hustenanfall auslöste. »Also wir hatten alle einen Alptraum. Das ist ungewöhnlich, aber andererseits …« Ich sah mich Beifall heischend um. »Wir alle hatten einen stressigen Tag. Und dazu noch dieses Spukschloss.«
    »Du meinst also, wenn wir dasselbe geträumt haben, liegt es daran, dass wir heute einen stressigen Tag hatten und alle dieselben traumatischen Erfahrungen gemacht haben.«
    Maria spähte mich über den Rand einer großen Teetasse an, die sie wie einen Schutzschild dicht vor ihr Gesicht hielt.
    Sie stellte die Frage in einem Tonfall, dem man deutlich anmerkte, wie verzweifelt sie auf eine zustimmende Antwort wartete; und nicht allein von mir.
    »So ungefähr«, bestätigte ich.
    »Du hörst anscheinend nicht richtig zu, Schätzchen«, sagte Ellen. Judith warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, den Ellen aber natürlich ignorierte. »Wir hatten nicht alle einen Alptraum. Wir haben alle dasselbe geträumt. Exakt dasselbe.«
    »Das ist vollkommen unmöglich«, antwortete ich impulsiv. Und außerdem stimmte es nicht. Ellen hatte nichts von Miriam erwähnt. Warum tust du mir das an?
    Ellen verdrehte demonstrativ die Augen. Sie trat einen Schritt zurück, betrachtete stirnrunzelnd die Zigarette, die sie in der Hand hielt, und nutzte die Gelegenheit, sich erneut zwischen Judith und mir hindurchzubeugen und die Zigarette mit so vollkommen übertriebener Kraft in den Aschenbecher zu rammen, dass die Funken flogen.
    »Gehen wir die Sache doch einfach mal analytisch an«, sagte sie. »Wildes Herumspekulieren bringt hier nichts.
    Sortieren wir einmal die Fakten.« Ihr Blick wanderte langsam von einem zum anderen. Wir alle sind angeblich miteinander verwandt, haben uns aber noch nie zuvor gesehen oder auch nur voneinander gehört.«
    »Und was hat das mit unserem Traum zu tun?«, fragte Maria.
    »Nichts, Schätzchen«, erwiderte Ellen lächelnd. »Oder auch alles. Ich versuche nur, die Fakten aufzuzählen.
    Vielleicht gibt es ja einen gemeinsamen Nenner.«
    »Psychologie für Anfänger«, flüsterte Judith. »Erstes Kapitel, erster Absatz.«
    Sie hatte wirklich leise gesprochen, aber Ellen hatte ihre Worte dennoch gehört. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte etwas in ihren blauen Augen auf, was ich nur noch als puren Hass bezeichnen konnte. Aber natürlich hatte sie sich augenblicklich wieder in der Gewalt.
    »Um das ein für alle Mal klarzustellen«, sagte sie, beherrscht und lächelnd, aber dennoch eine hörbare Spur kühler als bisher, »ich bin Chirurgin, keine Psychologin.
    Ich halte von diesen Gehirnklempnern genauso wenig wie ihr. Mich interessieren Fakten und sonst nichts.«
    »Chirurgin?« Maria wirkte überrascht.
    »Genau«, antwortete Ellen zuckersüß. »Ich schneide gern, weißt du, Liebes?«
    Und wahrscheinlich brauchte sie nicht einmal ein Skalpell dazu, dachte ich. Ihre Zunge war scharf genug. Vorsichtshalber sprach ich das nicht aus. Es war auch nicht wirklich

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