Nemesis 02 - Geisterstunde
Bettgestelle, zerschlissene Polstermöbel und einen uralten Küchenherd, der noch mit Holz oder Kohle beheizt wurde; jeder Antiquitätenhändler des Landes hätte vermutlich seinen rechten Arm dafür gegeben, sich hier einmal in Ruhe umsehen zu dürfen, aber man sah den Räumen auch an, dass hier seit langer, wirklich sehr langer Zeit niemand mehr gewesen war. Eine zentimeterdicke Staubschicht verwandelte einen Großteil der lieblos aufeinander gestapelten und geworfenen Möbel in surrealistische graue Skulpturen, und ich sah zwar nicht die Spinnen, die Carl prophezeit hatte, wohl aber staubverkrustete Netze von den Ausmaßen kleiner Betttücher. Hinter einer der offen stehenden Türen entdeckte ich einen klobigen, uralten Generator, der von einem fast bis unter die Decke reichenden Berg aufeinander gestapelter rostiger Benzinkanister flankiert wurde, und es gab einen ganzen Keller voller Bücher, die im Laufe der Zeit zu einer einzigen kompakten Masse zusammengebacken waren. Weder fanden wir einen getarnten Ausgang, noch stießen wir auf ein Lebenszeichen des vermissten Herrn von Thun.
Da ich meinem eigenen Zeitgefühl nicht mehr traute, schloss ich mit zwei schnellen Schritten weiter zu Stefan auf und benutzte das Licht seiner Lampe, um einen Blick auf die Armbanduhr zu werfen. Ich war ziemlich überrascht, festzustellen, dass wir uns gerade einmal seit fünf Minuten hier unten aufhielten – mir kam es vor wie eine Stunde -, und Stefan folgte meiner Bewegung mit Blicken, runzelte die Stirn und blieb stehen. »Wie groß, zum Teufel, ist dieser verdammte Keller?«, wandte er sich an Carl. »Wir müssen doch schon längst unter dem Hof sein.«
»Keine Ahnung«, behauptete Carl. »Ich war bisher nur ein einziges Mal hier. Da vorn geht's nicht weiter.« Er machte eine Kopfbewegung in die Dunkelheit am Ende des Ganges hinein. Stefan maß ihn mit einem Blick, der ziemlich deutlich machte, für wie glaubwürdig er seine Worte hielt, drehte sich wortlos um und ging mit schnellen Schritten weiter.
Zumindest auf den ersten Blick schien es, als hätte Carl die Wahrheit gesagt. Der Gang endete nach einem knappen Dutzend weiterer Schritte vor einer Ziegelsteinmauer, die ebenfalls uralt, dennoch aber sichtlich jünger als der Rest dieses unterirdischen Gewölbes war. Sowohl die Steine selbst als auch die Art des Mauerwerks verrieten, dass jemand den Korridor nachträglich zugemauert hatte.
»Seid ihr jetzt zufrieden?«, nörgelte Carl. »Oder soll ich einen Presslufthammer holen, damit wir die Wand niederreißen können?«
Stefan warf ihm einen verächtlichen Blick zu, drehte sich herum und machte dann mitten in der Bewegung noch einmal kehrt, hob die Lampe etwas höher und betrachtete das Mauerwerk im bleichen Schein des Petroleumlichtes stirnrunzelnd. »Anscheinend hat das schon jemand getan«, sagte er.
»Was soll das heißen?«, fragte Judith.
Stefan deutete auf eine Stelle in Brusthöhe, die mir auf den ersten Blick gar nicht aufgefallen war. »Hier hat jemand ein Loch in die Wand geschlagen«, sagte er.
»Seht ihr? Diese Steine hier sind neu. Und der Mörtel ist frisch. Keine drei Monate alt.«
»Sind Sie zufällig auch noch Bauingenieur?«, fragte Carl.
Stefan sah ihn nicht einmal an, als er antwortete. »Nein.
Aber ich habe Augen im Kopf.« Er schlug mit der flachen Hand auf die gut fünfzig Zentimeter im Quadrat messende Stelle, die er uns gerade gezeigt hatte, und sagte noch einmal: »Irgendjemand wollte wohl wissen, was dahinter ist.«
»Sehr viel kann es nicht gewesen sein«, nörgelte Carl, »sonst hätte er das Loch nicht wieder zugemauert.«
So ungern ich es auch tat – aber in diesem Punkt musste ich Carl Recht geben. Und selbst, wenn nicht – wir hatten weder die Zeit noch das notwendige Werkzeug, diese Mauer niederzureißen, nur um möglicherweise festzustellen, dass dahinter nichts weiter als noch eine Mauer war.
»Also gut«, sagte Stefan widerstrebend. »Gehen wir zurück.«
Niemand widersprach. Ich vermutete, dass selbst Stefan insgeheim froh war, aus diesen unheimlichen Katakomben herauszukommen, denn er schlug ein deutlich schärferes Tempo ein als auf dem Hinweg, blieb aber dann plötzlich wieder stehen und sah stirnrunzelnd die Petroleumlampe an.
»Was ist?«, fragte Maria alarmiert.
Stefan antwortete ihr nicht, drehte sich aber herum, hob die Lampe am ausgestreckten Arm ein wenig höher und starrte sie weiter mit einem Ausdruck höchster Konzentration an. »Tatsächlich«, murmelte
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