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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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gefragt, schluckte die Worte aber dann im letzten Moment hinunter. Es reichte durchaus, wenn einer von uns am Rande eines hysterischen Anfalls stand.
    Nach einer Ewigkeit (nach ungefähr zwanzig Schritten) hielt Carl vor einer niedrigen, aber äußerst massiv aussehenden und mit schweren eisernen Bändern beschlagenen Tür an. Ich wartete darauf, dass er wieder nach seinem Schlüsselbund griff, aber er reichte Stefan nur wortlos seine Laterne, packte mit beiden Händen den schweren eisernen Riegel, der die Tür verschloss, und zog ihn mit sichtlicher Kraftanstrengung auf. Diesmal hörte ich das widerwillige Knirschen von uraltem, halb verrostetem Metall, aber jetzt hätte ich auch gerne darauf verzichtet.
    Mit der gleichen Anstrengung, mit der er den Riegel zurückgezogen hatte, schlug Carl die Tür auf und nahm seine Lampe wieder an sich. Hinter der Tür kamen die ersten zwei oder drei Schritte eines gemauerten Gewölbeganges zum Vorschein, der selbst in der Mitte so niedrig war, dass man nicht wirklich aufrecht darin gehen konnte.
    »Was ist das?«, fragte Stefan.
    Carl zuckte mit den Schultern, und die Bewegung übertrug sich auf die Lampe in seiner Hand und ließ das Licht in hektischen kleinen Sprüngen hin und her tanzen, was den Gang mit einem unheimlichen Leben zu erfüllen schien. Ich wünschte mir, er hätte das nicht getan. »Noch mehr Keller«, sagte er. »Falls einer von euch auf Gerümpel steht, wird er seine helle Freude daran haben.«
    Stefan maß ihn mit einem kurzen, abfälligen Blick, nahm ihm kurzerhand die Laterne aus der Hand und bückte sich als Erster durch die Tür. Der Lichtkreis wanderte weiter und ließ Judith und mich schutzlos in der Dunkelheit zurück, erhellte aber nun auch ein größeres Stück des Gewölbeganges, so dass man die Türen erkennen konnte, die auf der linken Seite davon abzweigten.
    Sie waren uralt, nicht sehr viel höher als anderthalb Meter und machten einen äußerst massiven Eindruck.
    Jede besaß ein zwar kaum handgroßes, dennoch aber mit rostigen Eisenstäben vergittertes Guckloch und einen hölzernen, aber äußerst massiv aussehenden Riegel.
    Wenn ich jemals einen Gang mit Kerkerzellen gesehen hatte, dann diesen.
    »Was um Gottes willen ist denn das?«, murmelte Maria.
    »Keine Ahnung«, behauptete Carl amüsiert. »Aber vielleicht wussten sie ja früher besser, wie man mit renitenten Kindern umgeht.«
    Maria warf ihm einen zornigen Blick zu, aber sie sagte nichts, sondern trat stattdessen an die erste dieser sonderbaren Türen heran und zog sie auf. Meine Vermutung, was ihr Gewicht anging, musste wohl richtig sein: Sie brauchte offensichtlich all ihre Kraft dazu, und das Geräusch, das dabei entstand, ließ mich an einen schweren Wohnzimmerschrank aus Eiche denken, der über eine Schiefertafel von der Größe eines Fußballfeldes gezogen wird. Stefan, der schon zwei oder drei Schritte vorausgegangen war, kehrte um und leuchtete mit seiner Laterne in den dahinter liegenden Raum.
    Ich hatte Recht gehabt. Es war eine Zelle. Sie war nicht wesentlich breiter als die Tür, vielleicht vier oder fünf Schritte lang und ebenfalls so niedrig, dass ein normal gewachsener Mensch nicht aufrecht darin stehen konnte.
    Es gab kein Fenster, aber in jede der drei Wände war ein schwerer Eisenring eingelassen, über dessen Zweck man nicht besonders lange nachdenken musste. Darüber hinaus war sie vollkommen leer. Der Gedanke, dass hier unten tatsächlich einmal Menschen angekettet gewesen waren – vielleicht sogar mehrere zugleich -, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
    »Reizend«, sagte Stefan. »Das waren dann wohl die Appartements für die Mieter, die das Sozialamt schickt.«
    Niemand lachte. Maria sah ihn leicht vorwurfsvoll an, und Stefan richtete sich mit einem Ruck auf, den er spätestens in dem Moment bedauerte, in dem sein Hinterkopf hörbar gegen die gewölbte Decke knallte. Wenn es stimmt, dass Gott kleine Sünden sofort straft, war er in diesem Moment wohl besonders aufmerksam.
    Wir setzten unseren Weg fort. Es gab insgesamt drei der unheimlichen Kerkerzellen, dann schlossen sich größere, allerdings ebenfalls fensterlose Räume an, deren Türen allesamt offen standen, soweit sie überhaupt noch welche hatten. Anders als die Zellen waren sie nicht leer, sondern enthielten genau jenes Sammelsurium von Gerümpel und jahrzehntealtem Kram, den Carl vorausgesagt hatte: uralte Schränke, Schultische und -stühle, halb auseinander gebaute Vitrinen,

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