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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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Die gegenüberliegende Wand, gute acht oder zehn Schritte entfernt, wurde zur Gänze von einem Metallregal eingenommen, das nicht nur passgenau unter die Wölbung der Decke eingebaut war, sondern auch so massiv aussah, als wäre es für die Ewigkeit gedacht. Wie die Werkbank waren auch die Regalböden bis zum Überquellen mit allem möglichen Krempel vollgestopft, doch auch das Licht der Campinglampe reichte nicht weit genug, um Einzelheiten zu erkennen. Ich hatte nur einen allgemeinen Eindruck von Chaos. Glas oder spiegelndes Metall blitzte.
    »Das ist interessant«, sagte Stefan noch einmal. Diesmal tat ich ihm den Gefallen, mich zu ihm herumzudrehen und ihn zu fragen:
    »Was?«
    Stefan deutete auf die Gaslampe. »Das Ding ist neu«, sagte er. »Und die Kartusche auch. Man konnte hören, wie viel Druck noch drauf ist.«
    »Und?«, fragte Maria. Sie hatte es aufgegeben, im Dunkeln herumzustochern, und kam zurück, wobei sie ihre Füße so behutsam aufsetzte, als ginge sie über gemahlenes Glas.
    »Jemand ist hier unten gewesen«, antwortete Stefan.
    »Ich nehme an, derselbe, der sich so große Mühe gegeben hat, den Eingang zu verstecken.« Er sprach Carls Namen zwar nicht aus, sah ihn aber so unübersehbar spöttisch an, dass Carl sich zu einer Antwort genötigt fühlte.
    »Starrt mich nicht an«, sagte er. »Ich hab keine Ahnung, was das hier ist. Interessiert mich auch nicht.«
    Stefan antwortete irgendetwas, was ich gar nicht mehr beachtete – wenn die beiden sich den Rest der Nacht damit vertreiben wollten, sich zu streiten, dann war das ihre Sache, aber ich hatte keine Lust dazu. Ich nutzte die Zeit lieber, mich erneut und diesmal aufmerksamer in dem unheimlichen Gewölbekeller umzusehen. Meine Augen hatten sich mittlerweile hinlänglich an das schwache Licht gewöhnt. Ich erkannte jetzt, dass die Wände auch hier fleckig und von Schimmel und Moder überzogen waren, aber irgendwann einmal musste dieser Raum ganz anders ausgesehen und einem völlig anderen Zweck gedient haben. An der Wand links von uns waren noch die Schatten von Schränken zu erkennen, die früher einmal dort gestanden hatten, lange genug, ihre Umrisse in den Staub zu meißeln. Ganze Bündel von dicken, mit spröde gewordenem schwarzem Gummi ummantelten Kupferkabeln zogen sich unter der Decke entlang und krochen, bizarren Schlingpflanzen gleich, bis zur Mitte der Wand hinab, wo sie in einer ganzen Batterie altmodisch anmutender Schalter und Verteilerkästen endeten. Darunter musste einmal etwas Großes und Wuchtiges gestanden haben. Ohne auf Stefan und Carl zu achten, die sich mittlerweile darin überboten, sich Gehässigkeiten an den Kopf zu werfen, nahm ich Carls Petroleumlaterne und trat näher an die Wand heran. Ich sah jetzt, dass dieses sonderbare Sammelsurium von Schaltern, Verteilerkästen und anderen, mir völlig unbekannten Apparaten mindestens fünfzig oder sechzig Jahre alt sein musste, wahrscheinlich mehr. Unter dem Schmutz eines halben Jahrhunderts, der sich darauf abgelagert hatte, war es im ersten Moment nicht zu erkennen gewesen, aber jedes einzelne Kabel war sorgsam beschriftet. Ich wechselte die Laterne von der rechten in die linke Hand, befeuchtete den Zeigefinger mit der Zunge und versuchte, eines der kleinen Schildchen sauber zu wischen, um die Beschriftung zu lesen. Das Ergebnis war höchst unbefriedigend. Der Schmutz hatte die Konsistenz von Zement und ließ sich ungefähr genauso leicht abwischen, aber ich fand zumindest heraus, dass die Schildchen offenbar aus emailliertem Metall bestanden und mir die Aufschrift vermutlich ohnehin nichts gesagt hätte: Es schien sich um reine Buchstaben- und Zahlenkombinationen zu handeln, die sich nur dem erschlossen, der wusste, was sie bedeuteten.
    »Das ist seltsam«, sagte Judith. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass sie mir gefolgt war.
    »Was?«, fragte ich, eher aus Höflichkeit und um ihr das Gefühl zu geben, ein guter Zuhörer zu sein, als dass ich tatsächlich eine Erläuterung erwartete. (Mittlerweile hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich mir getrost eingestehen konnte, dass ich Judith tatsächlich mochte, und mir insgeheim sogar selbst fast glaubte, dass ich durchaus willens und in der Lage gewesen wäre zu tun, was ich getan hatte – sie flachzulegen nämlich, mich vielleicht sogar auf so etwas wie eine lockere Beziehung mit ihr einzulassen -, hätte ich sie unter ganz normalen Umständen in freier Wildbahn kennen gelernt; nichtsdestotrotz war sie auch nur eine

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