Nemesis 02 - Geisterstunde
ein unangenehmes Pochen in den Schläfen, das mir verriet, dass die nächste Hardcore-Migräneattacke nicht lange auf sich warten lassen würde.
Seit ich in Crailsfelden angekommen war, hatten die Kopfschmerzen mich auf Schritt und Tritt begleitet. Sie waren kurzfristig auf ein erträgliches, fast ignorierbares Level zurückgegangen, aber keine Sekunde lang gänzlich verschwunden. Nun meldeten sie sich mit jedem Schritt, den ich auf dem feuchten Pflaster zurücklegte, das im blassen Mondschein wie schwarzer Granit glänzte, ein wenig heftiger zurück.
»Sie scheinen da oben zu nisten«, stellte Judith schaudernd fest. »Ich will nicht wissen, wie viele von ihnen sich noch in diesem Turm verstecken.«
»Wir werden es nie erfahren«, behauptete Carl schulterzuckend. »Es ist, wie ich schon sagte: Der Turm hat keinen Eingang. Allein der Teufel weiß, was sich der große Architekturmeister, der ihn errichtet hat, dabei gedacht hat.«
Obwohl ich sie nicht ansah, sondern mit dem Kopf im Nacken in die Dunkelheit hinauf starrte und die pelzigen Flugmonster mit einem mehr als unbehaglichen Gefühl im Bauch beobachtete, bemerkte ich, wie Judith erschauderte. Ich wollte nicht in ihrer Haut stecken. Sie litt unter einer Fledermausphobie. Allein die bloße Vorstellung, die Situation sei auf meine eigene diesbezügliche Schwäche zugeschnitten und ich stünde vor einem gewaltigen, über und über mit Spinnen übersäten Turm und jemand würde andeuten, es sei durchaus möglich, dass er nur so voll gestopft wäre mit pelzigem, langgliedrigem Getier, jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Ich verscheuchte den Gedanken und zog Judith schützend zu mir heran.
»Das glaube ich nicht.« Judith ließ meine Hand los und rückte ein Stück von mir ab, wobei sie mich kurz mit einer Mischung aus Trotz, Ärger und Entschlossenheit im Blick anfunkelte. Ich sah sie irritiert an. »Es muss einen Eingang geben«, sagte sie und trat tapfer auf den baufälligen Turm zu. »Ein loser Stein, der bewegt werden muss, eine Klappe im Boden oder irgendetwas in der Art.
Niemand baut einen zwanzig Meter hohen Turm – für ein paar Fledermäuse!«
»Anscheinend schon«, seufzte Zerberus und schüttelte den Kopf. Und als hätte er in meinen Gedanken gelesen, fügte er hinzu: »Und für die Spinnen vielleicht. Die sind hier auch keine unerhebliche Plage.«
Judith trat dicht an den alten Turm heran und begann das Mauerwerk Dezimeter für Dezimeter mit dem Lichtkegel der Taschenlampe, die sie Carl im Vorbeigehen aus der Hand genommen hatte, abzutasten. Anscheinend war ihr gerade eingefallen, dass sie noch immer enttäuscht über mein abweisendes Verhalten in der Küche war, und sie hatte sich im gleichen Atemzug vorgenommen, mir und sich selbst zu beweisen, dass sie sich nicht fürchtete und nicht auf mich angewiesen war.
Ich wandte mich nach links und trat auf das einstöckige, heruntergekommene Gebäude zu, das irgendwann einmal einer Hand voll Lehrer Zuflucht vor einer Horde ungezogener, kreischender, unermüdlich brabbelnder und teilweise sicher von Heimweh geplagter Kinder und Teenager geboten haben musste. Nun sollte es mir Schutz vor Judiths Groll, dem Rest der Welt und gewissermaßen auch vor mir selbst bieten. Und vielleicht entdeckte ich dabei ja auch tatsächlich den zweiten Ausgang, von dem Carl so energisch bestritt, dass es ihn gab.
»Gehen Sie ruhig mit ihr«, forderte ich Carl über die Schulter hinweg auf, ehe ich die zwei Stufen zu der wuchtigen, glücklicherweise nur angelehnten hölzernen Tür hinaufging und diese langsam aufschob, worüber diese sich mit einem hässlichen Quietschen ihrer uralten, rostigen Angeln beklagte. »Ich komme schon allein zurecht.«
Es hätte genau andersherum sein sollen, doch als ich den schmalen, stockfinsteren Flur betrat, der an die Tür grenzte, schlug mir ein Luftzug entgegen, der eindeutig kälter war als der Wind, der mir draußen um die Ohren geweht hatte. Ich spürte, wie sich die feinen Härchen auf meinen Armen und meiner Brust aufstellten. Schnell schloss ich die Tür hinter mir, um den Durchzug zu Stoppen, obwohl das zur Folge hatte, dass ich erst einmal überhaupt nichts mehr sehen konnte. Die Gänsehaut jedoch blieb. Ich ignorierte sie genau wie den pochenden, sich nun im Eiltempo zu einem Hämmern steigernden Schmerz in meinem Kopf nach Kräften und ging auf die steile hölzerne Treppe zu.
Treppe? Ich konnte nichts sehen, zum Teufel noch mal!
Meine Augen hatten sich längst
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