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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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ernst nehmen und mir dementsprechend ernsthafte Sorgen um seinen Geisteszustand machen oder mich auf einen weiteren dämlichen Spruch vorbereiten sollte, der seinem Vorschlag möglicherweise folgte.
    »Im Oktober 1947 wurde im Zusammenhang mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ein Teilprozess gegen die Angehörigen des >Rasse- und Siedlungshauptamts< und gegen den >Lebensborn e. V.< begonnen«, erklärte Maria weiter. »Keiner der Verantwortlichen aus dem >Lebensborn e. V.< wurde verurteilt. Man hat sie lediglich der Mitgliedschaft in der als kriminell eingestuften SS für schuldig befunden. Obwohl sie damit juristisch gesehen unschuldig waren, sind die Geschichten über den Lebensborn lange nicht verstummt.«
    »Na toll, Frau Professor«, wandte Ed sich in nun wieder für alle hörbarer Lautstärke an Maria, nachdem er mich eine kleine Weile erwartungsvoll angesehen und keine Antwort bekommen hatte. »Und was haben sie gemacht, deine SS-ler?«
    Ich beschloss, dass es durchaus an der Zeit war, an den kümmerlichen Resten seines Verstandes zu zweifeln. Der Klang seiner Stimme war noch immer herablassend; er bemühte sich um einen möglichst genervten Tonfall.
    Aber ich hörte noch etwas aus ihr heraus, das auch Carl ins Gesicht geschrieben stand: heimliches, eigennütziges Interesse. Ed hatte es ernst gemeint, als er vorgeschlagen hatte, sich zusammen mit mir von der Gruppe abzusondern und auf eine mit Sicherheit abenteuerliche Schatzsuche zu begeben. Hatte er vielleicht wirklich noch nicht gemerkt, dass er nicht einmal allein auf den Füßen stehen konnte?
    »Tja, man hat so eine Art Auslese betrieben«, erklärte Maria und zog eine fast angeekelte Grimasse, von der ich nicht mit absoluter Gewissheit sagen konnte, ob sie eher Ed galt oder dem, was sie erzählte. »Mütter, die uneheliche Kinder empfangen hatten, konnten sie in den Lebensbornheimen heimlich zur Welt bringen und haben von den Ärzten Papiere ausgestellt bekommen, dass sie dort lediglich zur Kur waren. Die SS hat die Zeugung unehelicher Kinder gefördert, damit frisches Blut für das Reich gezeugt wird. Kinder, die dabei besonders den Idealen des arischen Typs entsprachen, wurden selektiert.
    Sie sollten die Elite für das Tausendjährige Reich werden. Man hat sie ohne Väter und Mütter, dafür aber ganz im Geiste des Nationalsozialismus erzogen. Wäre das Dritte Reich nicht zusammengebrochen, dann wären diese Kinder jetzt seine Führungselite. Es gibt auch Geschichten, man hätte Frauen gezielt mit SS-Offizieren zusammengebracht und regelrechte Bordelle zur Zeugung arischer Kinder unterhalten. Aber das ist umstritten.
    Außerdem sind in den besetzten Ostgebieten viele Kinder entführt worden, die dem arischen Idealbild entsprachen.
    Aber inwieweit der Lebensborn darin verwickelt ist, ist ebenfalls umstritten.«
    »Du meinst, man hat gezielt Menschen gezüchtet?«, fragte Judith aufgebracht, während Ed sich wieder in eine sitzende Position aufrichtete, um einen Blick auf die Fotos zu werfen. Ellen verdrehte die Augen und zündete sich seufzend eine Zigarette an. Sie war anscheinend die Einzige, die nicht wenigstens eine Spur von Interesse für meinen Fund oder gar das, was Maria erzählte, aufbringen konnte. Insgeheim musste ich zugeben, dass Marias Erläuterungen eigentlich nicht ganz so öde und nervtötend waren, wie ich zu Anfang angenommen hatte. Sie wusste erstaunlich viel über das Dritte Reich. Es hatte absolut nichts mehr mit durchschnittlicher Allgemeinbildung zu tun, Nebenprozesse der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse mit genauem Datum aus dem Effeff benennen zu können. Manchmal war ihr Wissensspektrum so beeindruckend, dass es unheimlich wirkte.
    »Na ja, gerade darüber streiten die Historiker«, antwortete Maria ausweichend. »Sicher ist nur, dass die Kinder aus dem Lebensborn unter besonderer Obhut aufwuchsen und quasi von Geburt an zu kleinen Nazis gedrillt wurden.«
    »Die kleinen Wichser hier sehen auch aus wie gezüchtete Nazis«, höhnte Ed. »Seht euch dieses Pfadfinderbild nur mal an. Die sind ja alle blond, und ich wette, die haben auch alle blaue Augen.«
    Ich betrachtete das Foto ein drittes Mal binnen kürzester Zeit, diesmal noch aufmerksamer als zuvor. Irgendetwas daran beunruhigte mich. Mein Blick blieb immer wieder an der Rune hängen, ohne dass ich mir darüber im Klaren war, woran das liegen könnte. Ich hatte einen solchen Stern tatsächlich noch nie in meinem Leben gesehen. Trotzdem wirkte er nicht

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