Nemesis 03 - Alptraumzeit
besten verborgenen schmutzigen Geheimnisse des Dritten Reiches an den Tag zu zerren.«
Als ich die Küche einige Augenblicke nach Judith, Ellen und Maria erreichte, trippelte Maria mit ihrer ungewöhnlichen Gangart durch den kleinen Raum und deutete auf die Fotos, die ich entdeckt hatte, die Bücher, auf die sie irgendwo im Obergeschoss gestoßen war, und die Baupläne, die Ellen in der Schublade des Mahagonitisches gefunden hatte. Ich war auf dem Weg hierher ein Stück hinter den dreien zurückgeblieben, um unangenehme Fragen nach meiner plötzlich veränderten Stimmung zu vermeiden, hatte mich aber nahe genug hinter ihnen gehalten, um mitzubekommen, dass sie, kurz nachdem sie das Lehrerhaus verlassen hatte, wirres Zeug vor sich hin zu plappern begann. Ich war so durcheinander gewesen, dass ich mich gar nicht gefragt hatte, welches Geheimnis sie denn eigentlich meinte, und erst recht nicht, warum ihr selbst überhaupt so viel daran gelegen war, dass Licht in etwas gebracht wurde, was bestenfalls Historiker oder sonstige Gelehrsamkeitsbeflissene interessierte. Möglicherweise war es ja einfach die Tatsache, dass sie selbst sich zu letzterer Sorte Mensch zählte.
»Wenn wir morgen früh noch leben«, erwiderte Ellen nüchtern und legte die Rechnungen und den Schlüsselbund in Zerberus' unmittelbarer Nähe auf der Arbeitsplatte ab. »Übrigens finde ich es fast schon verdächtig, dass wir auf diese Dokumente gestoßen sind«, fügte sie nachdenklich hinzu. Ich sah, wie sie Carl möglichst unauffällig aus den Augenwinkeln beobachtete, während sie sprach. »Ich meine: Sängers Zimmer ist ansonsten vollständig leer geräumt worden. Ich werde das Gefühl nicht los, dass jemand gewollt hat, dass wir diese Unterlagen finden.«
»Man kann auch einfach mal Glück haben«, behauptete Judith optimistisch und legte die schwarze Ledermappe zu den Papieren auf der Arbeitsplatte.
»So wie ich«, machte Ed seiner Verärgerung darüber, dass wir ihn mit dem langhaarigen Kneipenwirt allein gelassen hatten, in sarkastischem Tonfall Luft. »Die Tatsache, dass er die Situation nicht dazu genutzt hat, mir die Kehle durchzuschneiden, schließt ihn allerdings noch lange nicht aus der Liste der möglichen Mörder aus. Aber zumindest hat er mich vorhin verschont.«
»Leider.« Maria rümpfte die Nase. »Im Übrigen war meine Hoffnung darauf, dass er uns von deiner Anwesenheit befreien würde, auch eher gering. Wenn es hier einen Hochzucht-Arier gibt, dem ich ohne weiteres zutraue, mit einem Napola-Dolch auf einen –«
Der Rest ihres Satzes ging in einem erschrockenen Keuchen unter. Ellen war mit einem einzigen Schritt neben ihr, verdrehte ihr den Arm auf dem Rücken und schob sie mit diesem Griff grob vor sich her, bis sie ihr Opfer mit Oberkörper und Gesicht gegen die Küchenwand pressen konnte.
»Es reicht«, sagte sie leise, aber mit unmissverständlicher Härte in der Stimme. »Das Thema ist durch, hast du verstanden? Deine beschissenen kleinen Racheeskapaden bringen uns kein Stück weiter.« Dann stieß sie Maria unsanft vor sich her durch den Raum, drückte sie schließlich mit einer einzigen, kräftigen Handbewegung auf einen der weißen Plastikstühle hinab und baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihr auf. »Alles, was du mit deiner Gehässigkeit erreichst, ist, uns alle ständig an den Grund für deine alberne Wut zurückzuerinnern. Möchtest du das?«, fragte sie lauernd.
Im ersten Moment war Maria viel zu perplex, um darauf zu reagieren; wahrscheinlich benötigte sie ein paar Sekunden, in denen sie einfach nur dasaß und die rothaarige, schlanke Frau mit offenem Mund anstarrte. Sie musste Ellens Worte zwischen ihren eigenen, sich überschlagenden Gedanken herausfiltern und in die Form der Sätze zurückbringen, in der Ellen sie ausgesprochen hatte. Dann schüttelte sie heftig den Kopf.
»Gut.« Ellen wandte sich mit einem zufriedenen Lächeln von der grauen Maus ab. »Ich will mir schließlich gar nicht allzu lebhaft vorstellen, wie unsere kleine Pornoqueen sich von Eddi Groschenerotik bumsen lässt.«
Maria gab einen japsenden Laut von sich und die Farbe, die während Ellens Schmährede aus ihren Wangen gewichen war, kehrte binnen kürzester Zeit und in vielfacher Intensität in ihr Gesicht zurück. Judith grinste so breit, dass ich die silbernen Kronen auf ihren vorderen Backenzähnen erkennen konnte, und auch Carl konnte ein schadenfrohes Aufblitzen seiner Augen nicht unterdrücken.
Selbst ich
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