Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
dass Judith mir ansehen musste, wie sehr es mir gefiel, ihr beim Ausziehen und Duschen helfen zu müssen, aber obwohl mir die Ungünstigkeit des Augenblicks für erotische Gedanken durchaus bewusst war, fiel es mir enorm schwer, dieses Gefallen und das dazugehörige, elektrisierende Kribbeln in meinem Unterleib zu unterdrücken. Vorsichtig streifte ich den dünnen Stoff von ihren Schultern. Wie am frühen Abend, als sie mit zwei Dosen Cola bewaffnet in meinem Zimmer erschienen war und wir uns näher (Näher? Verdammt nah sogar!) gekommen waren, trug sie auch jetzt keinen BH unter ihrem Hemd – vielleicht besaß sie überhaupt keinen, schoss es mir durch den Kopf. Einen kurzen Augenblick war ich geneigt, verlegen zur Seite zu schauen, wandte den Blick dann aber nicht ab, weil ich bemerkte, dass Judith ebenfalls Anzeichen der Erregung zeigte. Ihre Brustwarzen hatten sich verführerisch aufgerichtet, und ihr Atem ging ein wenig schneller. Aber vielleicht lag es auch nur an der Kälte in dem gekachelten, unbeheizten Raum? Ich beschloss, mich zurückzuhalten. Vorläufig.
Judith streckte den gesunden Arm aus und streichelte ein wenig unbeholfen meine Wange. »Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennen gelernt«, sagte sie leise und zuckte hilflos mit der schmerzfreien Schulter. »Es ist alles so verdreht. Verkehrt ... Ich meine nicht die Morde ... Eher, wie alles begonnen hat. Quasi auf Befehl ... Und trotzdem ...«
Sie schüttelte hilflos den Kopf und bedachte mich mit einem Blick, der mich darum zu bitten schien, die richtigen Worte für das zu finden, was sie auszudrücken versuchte. Diesen Gefallen konnte ich ihr nicht tun, so gerne ich das auch getan hätte. Ich verstand sehr gut, was sie meinte, hatte aber ähnliche Artikulationsschwierigkeiten wie sie, und außerdem nach wie vor das Gefühl, gerade ein Fuder Mehl geschluckt zu haben – wofür ich aber andererseits in diesem Augenblick sogar ein bisschen dankbar war, denn mein trockener Mund verhinderte zumindest, dass ich Judith vor die Füße sabberte wie ein erregter Köter. Also nickte ich nur verständnisvoll, was aber noch lange nicht bedeutete, dass ich mit ihr einer Meinung war. Unter anderen Umständen nämlich, hätte ich mir niemals die Mühe gemacht, eine Frau wie Judith anzubaggern. Ich stand eher auf den Typ Frau wie Ellen einer war, auf makellose Schönheiten, die problemlos als Mannequins für jede beliebige Modezeitschrift herhalten konnten, mit perfekten Maßen und voller Stolz auf ihre elegante Weiblichkeit. Leider standen Frauen wie Ellen nicht auf Typen wie mich, und alle meine Bemühungen, auch nur ein einziges Mal eine dieser Edelbräute abzubekommen, kulminierten in einer Geschichte lebenslangen Scheiterns. Bei meinen Anstrengungen, solche Frauen zu beeindrucken, hatte ich mir kaum eine Peinlichkeit erspart – die Spanne reichte von viel zu teuren Autos, auf deren Krediten ich teilweise heute noch saß, bis hin zu einem Intimpiercing, das mir eine wochenlange, qualvolle Entzündung eingebracht hatte, ehe ich auf die fünfzig Dollar, die es mich gekostet hatte, gepfiffen und es unter Tränen des Schmerzes selbst wieder entfernt hatte – ich selbst, und nicht eine der hübschen Fünfundsiebzig-Doppel-D-Mädels von der Strandbar. Ich war mir fast sicher, dass ich mich allen vorausgegangenen, lehrreichen Erfahrungen zum Trotz unverzüglich wieder nach Kräften zum Affen gemacht hätte, wenn Ellen mir auch nur das geringste Zeichen zur Hoffnung, bei ihr zu landen, gegeben hätte, als ich sie kennen gelernt hatte.
Nun stand ich neben Judith, die mich offensichtlich begehrte und nicht zuletzt ungemein erregte, obwohl ich mich mir selbst dabei fremd fühlte, und was tat ich? Ich dachte an Ellen und an tausend andere schöne Frauen!
Ich war ein verdammter Idiot und würde immer einer bleiben, aber trotzdem nicht ganz so bescheuert, als dass ich den Spatzen nicht in der Hand behalten hätte, während ich nach der Taube auf dem Dach stierte.
»Das einzig Gute an dieser Hölle ist, dass ich dir hier begegnet bin«, flüsterte ich, und der stetig wachsende Teil meiner Persönlichkeit, der auf den Typen pfiff, als der ich hierher gekommen war, meinte es sogar ernst.
Wenn es ein glattzüngiges Kompliment war, mit dem ich – drastisch ausgedrückt – guten Sex schnorren wollte, dann kam es von diesem manchmal recht oberflächlichen Spinner, der ich gewesen war, ehe ich Burg Crailsfelden betreten hatte und den ich im gleichen
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