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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Vielleicht war es ja überhaupt keine Platzangstattacke gewesen, die sie im Hof hatte zusammenbrechen lassen, sondern die Abscheu über ihre eigene Tat, die Hiebe und Tritte ihres eigenen Gewissens.
    Und hatte sie nicht allzu bereitwillig Stefans persönliche Klamotten an den Wirt weitergegeben? Die Kleider des Mannes, mit dem sie geschlafen hatte, dessen Tod ihr doch angeblich so nahe ging, dass sie zu einem zitternden Häufchen Elend kollabiert war, als Ed ihr indirekt eine Mitschuld an seinem Tod zugeschoben hatte? Konnte der Angriff auf ihre chirurgischen Fähigkeiten allein sie wirklich so herbe getroffen haben, dass sie dermaßen die Kontrolle über sich verloren hatte? Oder hatte Cowboystiefel-Eduard mit seinem Schuss ins Blaue den Vogel nicht nur abgeschossen, sondern gleich in Fetzen gerissen, weil sie nämlich in Wirklichkeit weit mehr als nur eine Teilschuld an Stefans Tod traf? Vielleicht war die Betroffenheit, mit der sie Stefans Klamotten betrachtet hatte, als wir ihr Zimmer betraten, nur hervorragend gespielt gewesen.
    Und jetzt? Die Ärztin war mit Carl allein. Sie war bewaffnet (mit dem Napola-Dolch, mit der Waffe, die schon zwei andere von uns dahingerafft hatte!), und es wäre ein Leichtes für sie, den dicken Wirt binnen weniger Sekunden zu töten, ohne dass auch nur ein erschrockener Laut zu uns hindurchdringen würde. Was hatte sie gesagt? Sie kannte allein im Bereich des Rumpfes mindestens sieben Stellen, an denen ein Messerstich binnen einer Minute tötet. War das wirklich nur eine Drohung gewesen oder vielleicht doch eine Ankündigung? Würde sie in unserer Abwesenheit mit Carl abrechnen und dann abwarten, bis Judith und ich nackt unter der Dusche standen, um sich dann von hinten anzuschleichen und jedem von uns eine der tödlichen Klingen zwischen die Rippen zu jagen? Und das alles, ehe wir begreifen konnten, wie uns geschah, sodass wir binnen der planmäßigen Minute, die sie benötigte, um einen Menschen zu töten, am Versagen eines wichtigen Organs sterben oder elendig verbluten würden? Selbst wenn wir bemerkten, wie sie sich uns näherte, würden wir ihr wehrlos gegenüberstehen, denn es gab nur einen einzigen Zugang zum Duschraum, keine Hoffnung auf Flucht, wenn sie ihn uns mit den beiden Messern in den Händen versperrte.
    Aber warum sollte sie Carl am Leben gelassen haben, wenn sie Ed ermordet hatte? Wieder fragte ich mich, ob sie mit ihm unter einer Decke stecken könnte. Die Schöne und der Fettklops ... Der Gedanke war nach wie vor absurd, aber wenn ich in den vergangenen Stunden etwas für mein Leben dazugelernt hatte, dann die Tatsache, dass es nichts gab, was es nicht gab.
    »Worüber lächelst du?«, fragte Judith. Sie hatte ein Kleid, eine Strickjacke und Handtücher zusammengesucht. Unterwäsche konnte ich nicht entdecken. Vielleicht war sie zwischen den anderen Wäschestücken verborgen, dachte ich, entschied dann aber, dass ich zumindest einen Büstenhalter bemerkt hätte, wenn er zwischen den Kleidern und den Handtüchern steckte. Ich spürte, wie sich meine Wangen verlegen röteten. Verdammt, warum konnte ich nicht so cool und gelassen wirken, wie der kleine Macho, der ich in manchen Situationen gerne wäre?
    »Habe ich gelächelt?«, fragte ich kopfschüttelnd und blickte beschämt auf meine Schuhspitzen hinab. Wenn ich es getan hatte, dann hatte ich keinen Grund dazu gehabt und es auch nicht bemerkt. »Ich ... ähm ... nein.«
    Zum Teufel noch mal! Der Augenblick wäre eine einmalige Gelegenheit für einen guten Spruch gewesen, und was tat ich? Ich trat von einem Fuß auf den anderen, als hätte ich plötzlich einen unglaublichen Druck auf der Blase, und stammelte blödes Zeug! »Ich hatte überlegt, was ich anziehen werde. Weißt du ... ich habe gar nicht so viel Wäsche eingepackt. Ich dachte, das wäre sowieso nur für eine Nacht hier«, log ich und verabreichte mir stumm eine ganze Salve mehr oder minder zutreffender Beschimpfungen für meine ausgesprochen dämliche Ausrede. Herzlichen Glückwunsch, Frank, schoss es mir durch den Kopf. Nun verhältst du dich nicht nur wie ein pickeliger Pubertierender vor einem Erotikshop, sondern erklärst ihr auch noch in aller Ausführlichkeit, dass du ein männliches Ferkel bist, dem es nichts ausmacht, mindestens zwei Tage lang in denselben, stinkenden Klamotten herumzulaufen. Bravo, Junge, genau darauf stehen Frauen. Erzähl ihr doch noch ein bisschen von deinen Verdauungsschwierigkeiten und deinem schwachen Magen!
    Judith

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