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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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tatsächlich noch jemand in Marias Zimmer war, dann hatte Judith nahezu zielsicher dafür gesorgt, dass derjenige jetzt gewarnt war.
    Und wäre die Frage nicht von ihr, sondern von Carl oder Ellen gekommen, dann hätte ich mich vielleicht nicht so sehr um meine Fassung bemüht, wie ich es in diesem Moment tat, sondern wäre vielleicht ausgeklinkt und hätte ihm oder ihr einen hübschen Knoten in die Zunge gedreht. Aber mit Judith wollte ich mich nicht anlegen.
    Sie war die Einzige hier, der ich vertrauen konnte, die Einzige, die ich gerne hatte und von der ich, auch wenn sie sich von Zeit zu Zeit etwas eigenartig benahm, zu spüren glaubte, dass sie mich auch etwas mehr als nur mochte. Das hatte mir ihr eifersüchtiges Verhalten Ellen gegenüber vorhin noch bekräftigt. Ich hatte leidvoll erfahren, wie unendlich einsam ich mich fühlte, wenn Judith sich von mir abwandte, und ich würde mir eher in den Hintern beißen, als dass ich selbst dafür sorgte, dass sie vielleicht wieder nicht mehr mit mir reden und meine Nähe meiden würde, weil ich irgendetwas gesagt hatte, was sie mir verübelte.
    Ich schloss meinen Griff fester um den Schaft des Messers und stieß die Tür mit dem Fuß auf. Das Zimmer war leer, aber mitten im Raum stand Marias großer, aufgeklappter Koffer, in dem zerwühlte Kleider, Bücher und dicke Aktenordner wild durcheinander geworfen waren.
    Jemand war hier gewesen, raunte eine eindringliche Stimme hinter meiner Stirn. Jemand hat sich an ihren Sachen zu schaffen gemacht, hat vielleicht nach irgendetwas gesucht.
    »Eine kleine Schlampe«, startete Ellen hinter mir einen missglückten Versuch, witzig zu klingen. »Hätte ich gar nicht von ihr gedacht, dass sie so unordentlich war. Sie machte doch sonst immer einen so ordentlichen und spießigen Eindruck. Ganz so –«
    »Könntest du es dir vielleicht verkneifen, in der Vergangenheitsform von Maria zu reden?«, unterbrach Judith sie energisch.
    Ellen schwieg tatsächlich, wenn auch nicht, ohne Judith mit einem herablassenden Lächeln zu bedenken, ehe sie sich wie Carl und ich dem Koffer zuwandte, ohne dass wir aber Anstalten machten, uns zu bücken und darin herumzuwühlen. Niemand von uns traute sich das; stumm bildeten wir einen Halbkreis um das wuchtige Gepäckstück. Es mochte an einem Mindestmaß guter Erziehung liegen, das uns alle im ersten Moment daran hinderte, nach fremdem Eigentum zu greifen und in den vielleicht intimsten Geheimnissen herumzuwühlen, die darin verborgen liegen konnten. Es ging uns nichts an, welche Art von Unterwäsche unsere graue Maus trug, ob sie eher der Tanga- oder der (was ich insgeheim vermutete) Baumwollsliptyp war, ob sie Parfüm benutzte, und wenn ja, welcher Preisklasse, und was sie vielleicht ihrer Brieffreundin in der Schweiz anvertraute. Neben dem, was wir suchten (was genau war das eigentlich?), enthielt ihr Gepäck ganz gewiss auch Antworten auf Fragen, die niemand von uns zu stellen befugt war. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass Maria jeden Moment zur Tür hineinkommen könnte, vielleicht ungünstigerweise gerade in der Sekunde, in der einer von uns ein paar japanische Liebeskugeln aus dem Wäscheberg gezaubert hatte oder ein Wäschestück in der Hand hielt, das ihr möglicherweise noch unangenehmer war, als mir meine neon-gelben Boxershorts. Nüchtern betrachtet konnte ich jedoch wohl davon ausgehen, dass nichts dergleichen geschehen würde, weil sie erstens ein zu langweiliger Mensch war, um peinliche Dinge und dergleichen in ihrem Koffer aufzubewahren, und zweitens, weil sie ohnehin nicht hier aufkreuzen würde, da sie nämlich längst tot war, ermordet in einer Blutlache irgendwo in den Irrgängen des Kellers lag, denn warum sonst sollte sie so lange verschwunden bleiben?
    Vielleicht, weil sie die Mörderin war, die wir suchten?

Es war Carl, der Moral als Erster Moral sein ließ und sich neben dem Koffer auf die Fersen hockte, um ein graues Taschenbuch von Mitscherlich und Mielke mit dem Titel Medizin ohne Menschlichkeit daraus hervorzuziehen. Darunter kam ein weißer, anscheinend nagelneuer Band zum Vorschein, mit einem Cover, auf dem eine halb verbrannte Aktenseite abgebildet war, und der Aufschrift »Blecker und Jachertz, Medizin im Dritten Reich«. Eine dritte, zwischen einer anthrazitfarbenen Strumpfhose und einer grau gemusterten Bluse hervorlugende Lektüre musste ich nicht gänzlich sehen, um sie wieder zu erkennen, denn ich hatte den Band schon des Öfteren in einem Buschladen

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