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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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wurden. Ich schlug den Ordner zu und schmetterte ihn in den Koffer zurück.
    »Schockiert?«, fragte Carl in provokantem Tonfall und legte den Aktenordner, den er gerade in der Hand hielt, beiseite. Vermutlich hatte er mich die ganze Zeit über aus den Augenwinkeln beobachtet. »Die gute Maria hat ja richtig tief im Dreck gewühlt. Schau mal, was unser Doc Entzückendes liest.« Er deutete auf die gelbe, schwarz beschriftete Akte, die Ellen in den Händen hielt, mit dem Titel »Die Erfassung der Unter- und Überwertigen im Hirnbau.«
    »Was ... ist denn das?«, fragte ich erschrocken. Auch Judith ließ ihre Lektüre sinken und wandte sich Ellen zu, wobei sich ein verstörter Ausdruck auf ihrem deutlich erbleichten Gesicht ausbreitete.
    »Das ist ... Ich habe keine Worte«, antwortete Ellen mit einem hilflosen Kopfschütteln. Anscheinend bewegte sich das, was sie las, selbst für eine abgebrühte Chirurgin am Rande des Erträglichen. »Ich meine, ich habe in der Schule darüber gehört, aber das hier ...« Sie biss sich angeekelt auf die Unterlippe und suchte nach den richtigen Worten. »Hier sind Kopien von Originalakten«, sagte sie schließlich. »Maria hat dort mit einem Textmarker Stellen unterstrichen. Ich hatte von den Morden und den Gräueltaten gehört, aber die Akten dazu in den Händen zu halten, das ist was völlig anderes ... Hier ... Ich lese einfach mal einen Abschnitt vor, den Maria unterstrichen hat: 28. und 29. Oktober 1940, Vergasung von Kindern in der Vergasungsanstalt Brandenburg«, zitierte sie. »Leichen seziert und zur wissenschaftlichen Auswertung mitgenommen.«
    Sie blickte von dem Ordner auf und zwischen Judith und mir ins Leere. Anscheinend musste sie erst ein wenig Kraft sammeln, ehe sie sich wieder dem Ordner zuwenden und weiterreden konnte, und es tat mir fast sogar ein bisschen Leid, dass ausgerechnet Ellen auf diese Mappe gestoßen war. Was uns erschreckte und schockierte, musste in ihr ungleich mehr Betroffenheit wecken, weil sie als Ärztin viel besser, viel zu gut verstand, worum es in diesem Papier im Einzelnen ging.
    »Maria hat hier einen Notizzettel eingeklebt«, fuhr sie nach ein paar Augenblicken fort, wobei sie sich nervös das nasse Haar aus dem Gesucht wischte. »Verwicklung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung? PP ~ Projekt Prometheus? Neue Menschen schaffen? Lebensborn??«, las sie kopfschüttelnd vor. »Dieses PP findet sich immer wieder in den Akten, aber über ein Projekt Prometheus habe ich nichts gefunden.«
    »Vielleicht war sie einer Sache auf der Spur, die noch gar nicht in den Geschichtsbüchern steht.« Mir fiel auf, dass Judith nun selbst in der Vergangenheitsform über Maria sprach, obgleich sie Ellen genau das noch vor wenigen Minuten verübelt hatte, aber ich sagte nichts.
    Mir gingen andere, wesentlich schlimmere Dinge durch den Kopf. Judith hob das Buch, in dem sie zuletzt gelesen hatte. »Hier stehen Sachen drinnen ...« Sie schluckte hörbar. »Der SS-Arzt Mengele hat seine Untersuchungsergebnisse an das Kaiser-Wilhelm-Institut weitergeleitet, von dem Maria geschrieben hat, und auch an die Deutsche Forschungsgesellschaft. Hier ist die Rede davon, wie er Kindern Methylenblau und andere Substanzen in die Iris spritzt, um ihre Augen blau zu färben, oder wie er bei Zwillingen Organe und Gliedmaßen explantiert und wieder implantiert, um zu sehen, ob es Abstoßungsreaktionen gibt.«
    »Diese Maria war ... ist doch pervers.« Mittlerweile hatte auch Carl zu viel gehört und gesehen, um seinen Schrecken mit einer seiner flapsigen, saudummen Bemerkungen zu überspielen. Auch er hatte spätestens bei Judiths Worten deutlich an Farbe eingebüßt. »Ich meine, warum wühlt man sich in so was ein?«, fragte er hilflos.
    »Sicher, das ist alles schlimm, aber es ist doch längst vorbei, diese Verbrecher sind alle schon lange tot. Was sind das für Leute, die sich an diesen Untaten aufgeilen?«
    »Vielleicht Leute, die verhindern wollen, dass so etwas noch einmal passiert«, nahm ich die Graue Maus in Schutz. Ich mochte sie nicht, aber im Gegensatz zu dem Wirt hielt ich sie auch nicht für eine Perverse, die sich aus ähnlichen Beweggründen heraus durch derlei Bücher fraß, wie andere Menschen durch den Playboy oder die Praline blätterten. »Ich finde nicht, dass man den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten darf.«
    »Warum nicht?«, fragte Carl geradeheraus. »Weil alle Deutschen sich dafür bis in alle Ewigkeit schuldig fühlen müssen?« Er

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