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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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hat.«
    »Aber mich nennst du einen Leichenfledderer«, grollte Carl. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, ihn so genannt zu haben, beschloss aber, dass die Frage keine Diskussion wert war.
    »Ich gehe nicht davon aus, dass sie tot ist«, antwortete ich, wandte mich von ihm und den beiden Frauen ab und griff nach dem Messer, das ich bei meinem Wutanfall in die Tischplatte gerammt hatte. Es steckte so fest in dem Holz, das auch nach all den Jahren noch nicht morsch geworden war, dass ich bei meinen Bemühungen, die Klinge wieder herauszuziehen, einen Augenblick lang befürchtete, die Spitze abzubrechen. Schließlich gelang es mir aber, die Waffe unversehrt wieder an mich zu nehmen. Niemand sagte etwas. In dem engen Zimmer herrschte ein angespanntes Schweigen. Aus den Augenwinkeln registrierte ich, dass Judith und Ellen einander noch immer ein abfälliges, fast herausforderndes Blickduell lieferten. Ein Funke, dachte ich bei mir, und das ganze Pulverfass ging von neuem hoch.
    »Hat jemand einen besseren Vorschlag?«, fragte ich so ruhig es mir eben gelang. »Ich mache alles mit, aber wir dürfen uns auf gar keinen Fall trennen. Irgendwie müssen wir die Stunden bis zum Morgengrauen herumbekommen, ohne uns gegenseitig den Schädel einzuschlagen.«
    »Was macht dich denn so sicher, dass im Morgengrauen die Rettung naht?«, fragte Ellen abfällig. »Warum sollte sich irgendetwas ändern, nur weil die Sonne scheint?«
    »Man wird uns vermissen«, behauptete ich, aber meine Worte klangen selbst in meinen eigenen Ohren nicht besonders glaubwürdig. Zumindest mich würde niemand vermissen, zumindest nicht so schnell. Meine Eltern waren längst tot, Geschwister hatte ich keine und noch nicht einmal eine feste Partnerin, die sich um mich sorgen würde. Ich war bis in meine späte Jugend hinein von hier nach dort abgeschoben worden, und es gab kein Internat, in dem ich länger als zwei oder drei Jahre gelebt hätte. Dadurch hatte ich früh begriffen, dass der einzige Mensch, auf den ich mich definitiv verlassen konnte, ganz allein ich selbst war, denn ich konnte mich schließlich nicht völlig unvorbereitet vielleicht schon am nächsten Tag im Stich lassen, wenn ich wieder einmal spontan die Koffer packen musste. Ich war nie ein kontaktfreudiger Mensch gewesen, zumal ich die Erfahrung gemacht hatte, dass die meisten Freundschaften sowieso keinen Bestand haben und der Mühe nicht wert waren. Ich war ein Einzelgänger, und die wenigen Freunde, die ich besaß, hatten diesen Titel streng genommen überhaupt nicht verdient. Sie waren lediglich bessere Bekannte, mit denen ich ab und an das New Yorker oder Bostoner Nachtleben unsicher machte – je nachdem, in welchen Winkel der Vereinigten Staaten es mich gerade verschlagen hatte. Einige wussten, dass ich für eine kleine Weile nach Deutschland zurückgefahren war und beizeiten als frisch gebackener Multimillionär im Privatjet zurückkehren und mich von einem Chauffeur in einem blütenweißen Cadillac in meine neue Villa fahren lassen würde, wo auch immer ich gerade eine erspähte, die zu kaufen ich Lust hatte. Ich war nicht nur manchmal ein kompletter Vollidiot, sondern konnte auch ein ziemliches Großmaul sein, wenn mich der Hafer stach – und nachdem die Nachricht über die vermeintliche Erbschaft per Telegramm bei mir eingetrudelt war, hatte ich das Großmaul in mir herausgekehrt. »Es wird auffallen, wenn Carl seine Kneipe nicht aufmacht. Und die Dörfler wissen ja wohl, dass du Hausmeister hier oben in diesem alten Kasten bist. Da kommt doch vielleicht mal jemand nachschauen«, versuchte ich eher mir selbst, als den anderen einzureden.
    »Wir sind hier in der Eifel, Klugschwätzer«, winkte der Althippie ab. »Hier mischt man sich nicht in die Angelegenheiten der Nachbarn ein. Wenn ich Die Taube nicht aufmache, dann ist sie eben zu. Deswegen startet hier keiner eine große Suchaktion. Nach drei oder vier Tagen wird der Dorfbulle mal reinschauen und überprüfen, ob ich im Bett liege und vor mich hin stinke. Aber morgen wird sich ganz bestimmt keiner um mich scheren.«
    »Der Catering-Service«, wandte ich ein. Meine Stimme hatte einen bebenden, fast weinerlichen Ton angenommen, für den ich mich in Grund und Boden schämte, den ich aber nicht ganz unterdrücken konnte. »Was ist mit dem Catering-Service, von dem du gesprochen hast.«
    Der Wirt zuckte resigniert die Schultern. »Ich habe gesagt, ich glaube, dass von Thun ihn bestellt hat«, antwortete er mit Nachdruck.

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