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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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langsam – anscheinend trug sie mit großem Ernst etwas vor, wobei sie jedes Wort überdeutlich aussprach. Die anderen lauschten ihr stumm. Ich wünschte mir, dieser verdammte Film hätte eine Tonspur. Ich wollte wissen, was da vor sich ging und warum Sänger darauf verzichtet hatte, mich auch in diesen Filmausschnitt hineinzuschneiden. Dann machte die Kamera einen unerwarteten Schwenk, und ich stellte fest, dass ich mich geirrt hatte: Da war ich doch. Ich stand, auch dieses Mal wie die anderen mit einer säuberlich gebügelten Pfadfinderuniform bekleidet, etwas abseits der Gruppe. Ich hatte meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst und wirkte irgendwie trotzig, zugleich aber durch und durch entschlossen. Wahrscheinlich waren die Bilder mit einer alten Super-8-Kamera aufgezeichnet worden, sie wirkten nicht wie ein Videofilm.
    Ich – beziehungsweise das Kind, das aussah wie ich – stand auf einem Felsvorsprung, an den der Wald angrenzte. Nun begann ich vorsichtig, daran hinabzuklettern und durch den Forst zu pirschen, der sich am unteren Ende des Felsens fortsetzte.
    Hier unten gab es kein Dickicht, lediglich wie überdimensionale Streichhölzer wirkende, nahezu identische Bäume, deren Kronen kaum Schatten zu spenden vermochten. Trockenes Laub und abgebrochene kleine Äste knirschten und knackten unter den Füßen des Kindes, das ich war. Dann sprang etwas zwischen den Baumstämmen hervor: ein Rehkitz, das sich dicht auf die Erde gekauert haben musste und mir deshalb nicht aufgefallen war. Das Tier sprintete erschreckt vor mir davon, schräg in den lichten Wald hinein, und wechselte schließlich ganz unvermittelt die Richtung. Es schlug einen Haken wie ein flüchtendes Kaninchen. Die Kamera folgte ihm, während es auf den Waldrand zu hastete.
    Der Wald grenzte an ein im Licht der untergehenden Sonne goldfarben leuchtendes Kornfeld. Eine wuchtige Maschine fraß eine breite Schneise durch den Weizen.
    Plötzlich gab es einen Schnitt im Film, und in der nächsten Szene erkannte ich eine Großaufnahme von dem Schneidewerk des Mähdreschers, der sich durch das Kornfeld gearbeitet hatte. Zwischen den gewaltigen Messerblättern hing der bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte zarte Leib des Rehkitzes. Wie durch ein Wunder war der Kopf des Tieres unversehrt geblieben, so dass der Kadaver mit in Todesangst erstarrten Augen ins Objektiv der Kamera starrte, das einen unnötig langen Moment sadistisch auf sie gerichtet wurde. Dann ließ der Kameramann das Objektiv langsam über die zerhackten Beine und den aufgeschlitzten Leib des Tieres wandern, so als empfände er eine obszöne Lust daran, das Grauen in allen Details festzuhalten.
    Ich sah weg. Ich konnte diese Bilder nicht mehr ertragen.
    Viel schlimmer aber war noch die beklemmende Erinnerung, die versuchte, sich bis zur Oberfläche meines Bewusstseins vorzutasten, während sich dieses schreckliche Video vor mir abspielte, die Ahnung eines Déjà-vu, die sich auch nicht durch bloßes Wegsehen vertreiben lassen wollte. Dieser Film war nicht manipuliert worden. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber tief in meinem Inneren wusste ich es sehr genau. Die blutverschmierten Messer des Mähdreschers ... Ich hatte es erlebt, auch wenn ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, jemals ein Pfadfinder gewesen zu sein.
    Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete mehrmals langsam und bewusst ein und aus, sammelte die Kraft der Überwindung, die ich in großer Menge benötigte, um meinen Blick erneut den noch immer laufenden Monitoren zuzuwenden.
    Das Bild des blutigen Kadavers war verschwunden.
    Stattdessen erkannte ich auf dem Bildschirm, auf dem es gerade noch zu sehen gewesen war, wieder die Pfadfindertruppe, die sich aber nicht mehr in dem Wald befand, sondern inzwischen auf dem Burghof eingefunden hatte. Professor Sänger war bei den Kindern. Er wirkte lächerlich in seinen kurzen Hosen und dem mit Auszeichnungen behängten Hemd, doch keines der Kinder kicherte.
    Auch ich nicht. Ich stand vor der Reihe der drei Mädchen und der beiden Jungen. Sänger trat auf mich zu und heftete mir eine prächtige Achselschnur an das porentief reine, frisch gebügelte Hemd. Es beschämte mich zutiefst, dieses Kind, das ich sein sollte, zu sehen, wie es vor Stolz nur so strahlte, während der Professor in der kindischen Uniform es mit einer Auszeichnung belohnte.
    Ein weiterer Erwachsener gesellte sich zu der Gruppe.
    War das Eds Großvater? Ich war mir nicht sicher,

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