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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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lauernd.
    Von Thun wirkte überrascht, und ich klopfte mir innerlich selbst auf die Schultern. Eins zu null, dachte ich, wobei ich bewusst darauf verzichtete, die Tore der Proberunde mitzuzählen. Der Advokat legte den Kopf schief und musterte mich, als sei ich ein besonders widerliches Insekt. »Das Projekt Prometheus«, wiederholte er gedankenverloren.
    Das also war der Weg, dachte ich bei mir. Ich würde ihn überrumpeln, ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.
    »Sie wissen, wovon ich spreche.« Ich bemühte mich um einen eindringlichen Tonfall. »Hitler hat es angeordnet, nicht wahr?«
    Der Alte grinste gehässig, und ich hätte mich selbst geohrfeigt, wäre ich nicht noch immer geschwächt und außerdem an ein gutes Dutzend Kabel und Schläuche angeschlossen gewesen. In ihrem Gewirr hätte ich mich bei dem bescheidenen Geschick, mit dem Gott mich ausgestattet hatte, wahrscheinlich augenblicklich rettungslos verheddert, wenn mich nicht schon vorher die widerliche Maschine auf Rollen neben meinem Bett mit dem Narkosemittel in ein künstliches Koma befördern würde.
    »Netter Versuch, Herr Gorresberg«, spöttelte der Greis.
    »Vergessen Sie nicht, dass das Spiel mit Worten fast ein halbes Jahrhundert lang mein tägliches Geschäft war.
    Messen Sie sich nicht mit mir. Übrigens hat der Führer angeblich einen seiner Tobsuchtsanfälle bekommen, als er erfuhr, wie Professor Sänger das Projekt getauft hatte.
    Hitler war völlig gefangen in seinem Germanenwahn.
    Dass wir keinen Namen aus der nordischen Götterwelt gewählt hatten, hat er als persönlichen Affront aufgefasst.
    Damit wäre das Projekt beinahe schon wieder gestorben gewesen, noch bevor es richtig begonnen hatte. Dass wir dennoch forschen konnten, verdanken wir allein einem Zwischenfall im Warschauer Gestapo-Gefängnis. Es war Wolf Gregorewitsch Messing, der das Ruder für uns herumgerissen hat. Er hat dem Führer Angst gemacht. Heute ist Messing nicht einmal eine Fußnote der Geschichte. Ich denke, selbst unter Experten ist er nur den wenigsten Historikern bekannt. Aber in seiner Zeit war er ein bedeutender Mann. Hitler fürchtete ihn, und Stalin hat ihn unter seinen besonderen Schutz gestellt. Er hat zwei der mächtigsten Männer der Welt beeinflusst, und heute ist er vergessen.«
    Ich verstand nicht, wovon der Alte redete, und ich interessierte mich auch nicht wirklich für Hitler, geschweige denn für diesen Messing. Dennoch betete ich inständig darum, dass von Thun weitersprechen möge. Ich musste einen günstigen Ansatzpunkt finden, von dem aus ich unauffällig auf das ursprüngliche Thema zurücklenken konnte. »Sie kannten diesen Herrn Messing?«, hakte ich nach.
    »Kennen?« Der Alte fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und schließlich mit dem Handrücken über das Kinn, als er bemerkte, dass er sabberte und ein Tröpfchen Speichel über seine Unterlippe rann. »Nein«, sagte er. »Ich habe ihn nie getroffen. Und dennoch hat er mein Leben bestimmt wie nur wenige andere. Wissen Sie, auf Kreta bin ich schwer verwundet worden.«
    »Tatsächlich?« Innerlich stöhnte ich auf. Der Alte sollte ja erzählen, aber doch nicht von alten Kriegsgeschichten.
    Ich wollte wissen, was auf Burg Crailsfelden geschehen war, und vor allen Dingen, was ich damit zu tun hatte.
    »Kreta war ein toller Fehlschlag!« Von Thun nickte heftig. »Man hat uns gesagt, auf der ganzen Insel gebe es nur fünftausend Verteidiger. In Wirklichkeit aber waren es 42 000. Und obendrein wussten die noch, dass wir kommen. Wissen Sie, ich gehörte zum dritten Bataillon des Fallschirmjägersturmregiments. Wir sind direkt in die Stellungen eines gut getarnten neuseeländischen Pioniertrupps gesprungen. Die meisten meiner Kameraden hatte es schon erwischt, bevor wir auf dem Boden waren. Ich sage Ihnen, nie wieder war so viel Blei in der Luft. Das ist die Hölle! In der Luft zu hängen, während von unten aus allen Rohren geschossen wird ... Fünf Kugeln habe ich abbekommen, und einen Granatsplitter. Ein Jahr hat es gedauert, bis ich wieder aus dem Lazarett war.«
    »Und?«, bohrte ich nach, obgleich der Ausdruck in den Augen des Alten mir deutlich verriet, dass die Erinnerung an die Schrecken und Niederlagen des Krieges ihn noch immer schmerzten. Vielleicht eben deshalb. »Haben Sie im Krankenhaus ein Testament verfasst?« Es war mehr als nur Ironie oder ein Touch Sadismus, was mich diese Frage dazwischenwerfen ließ. Wenn ich schon keine Chance hatte, den Advokaten mit

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