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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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wenn Sänger es nicht schon längst getan hatte.
    Vorsichtig drehte ich mich und schwang die Beine zur linken Seite hin von der Liege. Weiter kam ich nicht. Die Drähte und Infusionsschläuche an meinem rechten Arm spannten so sehr, dass ich mich keinen weiteren Zentimeter bewegen konnte, ohne die Nadeln brutal aus meinen Venen zu reißen, und selbst die kurze, geringfügige Spannung, die ich mit meiner Bewegung verursacht hatte, genügte, um eine Kurve auf einem der Monitore der auf Rollen stehenden Maschinen zu verändern. Fast im selben Augenblick trat wieder dieser seltsame bittere Geschmack in meinen Mund.
    In hilfloser Wut ballte ich die Hände zu Fäusten. Ich war gefangen wie ein Insekt in einem Spinnennetz. Sobald ich mich bewegte, begannen die Fäden zu vibrieren und alarmierten das übermächtige Ungeheuer, das sich aus den Maschinen zusammensetzte, die man zu meiner Überwachung aufgebaut hatte. Ich war ...
    Müde ließ ich mich auf das Kissen zurücksinken. Es musste einen Ausweg geben. Mein Kopf fühlte sich an wie mit zähflüssigem Brei gefüllt. Trotzdem versuchte ich mich zu konzentrieren. Ich konnte, ich musste ...
    Alles war egal. Auf einmal fühlte ich mich, als tauchte ich in angenehm warmes Wasser ein. Alles wurde langsamer, ruhiger; mein Atem, mein Herzschlag, meine Gedanken. Wohltuende Dunkelheit schwappte über mich hinweg. Von irgendwo weit her drang ein schriller Piepton zu mir hindurch.
    Obwohl ich zweifellos sicher war, dass ich meine Augen geschlossen hatte, konnte ich helles Licht sehen. War das ein Traum? Oder starb ich wieder, endlich, tatsächlich?
    Langsam fiel ich dem Licht entgegen. Noch immer konnte ich das schrille Alarmsignal hören, und es schienen Menschen in meiner Nähe zu sein. Irgendjemand rief etwas, was ich nicht verstand.
    Dann trat plötzlich eine Gestalt aus dem Licht. Es war ein Junge in einer Pfadfinderuniform, der sich breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Händen vor mir aufbaute, als wolle er mich nicht vorbeilassen, als verweigerte er mir den Weg in das Licht, in die Freiheit – in den Tod?
    Sengender Schmerz zuckte durch meine Brust und explodierte in meinem Herzen. Glühende Qual ließ meinen Körper sich aufbäumen, um im nächsten Augenblick wieder auf das Kissen zurückgeschleudert zu werden. Das Licht erlosch, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
    Dafür regte sich nun das Tier in meinem Schädel, der Alien mit den Tentakeln, von denen von Thun gesprochen hatte. Ich hatte das Gefühl, als zerspränge mein Kopf in Milliarden kleiner Teilchen.
    Ein zweites Mal traf dieser sengende brutale Schmerz meine Brust. Dann versank ich in gnädige Finsternis.
    Der beißende Geruch von verbranntem Haar, der in der Luft lag, war das Erste, was sich in mein Bewusstsein schlich, noch bevor ich die Augen wieder öffnete. Als Kind hatte ich mir an Silvester einmal ein paar Brandflecken auf einem teuren Angorapulli zugezogen, den ich erst einige Tage zuvor zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, woraufhin meine Mutter mir mächtig den Hintern versohlt hatte. Ich hatte mir meine Eltern nach ihrem Tod wirklich nach Kräften schöngeredet; tatsächlich waren sie mit Abstand nicht so perfekt gewesen, wie ich mir selbst immerfort glauben zu machen versuchte. Jedenfalls hatte und würde ich niemals vergessen, wie verbrannte Wolle roch!
    Noch immer fühlte ich mich seltsam leicht, nahezu so, als wäre ich auf samtene Wolken gebettet. Und dann dieser Geruch ... Ich musste noch träumen, beschloss ich. In einem sterilen Krankenzimmer wie dem, in dem ich untergebracht war, konnte es nicht nach verbrannter Wolle riechen, es waren nur meine Sinne, die mir etwas vorgaukelten. Verdammt, warum konnte ich nicht von etwas Angenehmerem träumen als von etwas, das in mir das Gefühl von brennender Haut auf meinem Hintern und heißen Tränen auf zarten, knabenhaften Wangen hervorrief? War nicht die Realität längst schlimm genug, dass ich es durchaus verdient hätte, von Paris Hilton unter meinem vor Erregung zuckenden Körper zu träumen, oder noch lieber von dem meinen unter ihrem?
    Ich öffnete die Augen und fand mich tatsächlich in dem kleinen Krankenzimmer. Und es roch noch immer nach angesengtem Weihnachtsgeschenk. Der Traum war anscheinend einer von der besonders hartnäckigen Sorte, vielleicht weil er kein Traum gewesen war, sondern ein Flashback im Schlaf, das mich zu jener verhängnisvollen Silvesterfeier zurückkatapultiert hatte.
    »Scheißtraum!«, fluchte ich

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