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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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hinauszuspähen. Niemand war zu sehen. Kaltes Neonlicht tauchte einen kahlen Gang in schattenlose Helligkeit. Der Boden war mit teuer aussehenden weißen Platten ausgelegt – Marmor. Die Wände waren nackt und weiß getüncht, und von billigen Kalenderbildern in fast ebenso preiswerten Wechselrahmen, wie ich sie von meinen wenigen vorausgegangenen Krankenhausbesuchen her kannte und demnach auch hier erwartet hätte, fehlte jede Spur. Es gab nicht einmal schwarze Streifen von Gummipuffern, die davon hätten künden können, dass zwischen Untersuchungsräumen und Krankenzimmern eifrig Betten hin und her geschoben wurden. Der Gang, der vor mir lag, wirkte so sauber, so steril und so kleinlich gewartet, dass er nie und nimmer Teil einer gewöhnlichen Klinik hätte sein können.
    Selbstverständlich nicht, dachte ich bitter bei mir. Nirgendwo sonst als in einer Privatklinik hätte Professor Sänger freie Hand für seine perversen Experimente gehabt, nirgendwo sonst dürfte ein Tattergreis wie er überhaupt noch praktizieren, vom krankhaften Idealismus seines greisen Hirns ganz zu schweigen!
    Ich trat auf den Flur und hastete, so schnell es meine noch immer schwachen Beine zuließen, zur nächsten Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Ich öffnete sie, ohne zu lauschen, trat ein und tastete in der Dunkelheit, die mich umgab, als das Schloss hinter mir wieder eingerastet war, nach einem Lichtschalter. Es roch muffig, feucht und ein wenig süßlich, und ich befürchtete bereits das Schlimmste, als ich den Lichtschalter spürte und eine grelle Neonröhre unter der Decke aufflammte. Doch ich fand mich nicht in einer weiteren Abteilung der abartigen Forschungssammlung wieder, sondern in einer Sammelstelle für Schmutzwäsche.
    Nie zuvor hätte ich gedacht, es als Erleichterung empfinden zu können, wenn es mich in eine fensterlose Kammer voll mit verschwitzten und bepinkelten Laken verschlug, und hätte jemals jemand behauptet, dass ich es als Geschenk des Himmels bezeichnen würde, auf zwei große Rollkörbe, randvoll mit muffigen Bettbezügen, in einem engen Kämmerchen zu stoßen, hätte ich wahrscheinlich augenblicklich die Nummer der Telefonseelsorge für ihn gewählt. Nun aber empfand ich tatsächlich größte Erleichterung. Mit einem kurzen lautlosen Jubelschrei eilte ich auf den ersten der Körbe zu, begann darin herumzuwühlen und fand zu meiner Erleichterung sehr schnell, wonach ich gesucht hatte: ein T-Shirt, einen Arztkittel, weiße Hosen und Baumwollsocken, die zwar erbärmlich käsig rochen im Vergleich zu der Seniorenreizwäsche, die ich nach wie vor an den Beinen trug, aber ungemein attraktiv auf mich wirkten.
    Plötzlich erklangen Schritte vom Flur her. Jemand stieß einen knappen Schrei aus. Judith? War das ihre Stimme gewesen?
    Mein Herz tat vor Schreck einen Satz. Ich hatte die Tür zu dem Raum, in dem ich eingesperrt gewesen war, nicht hinter mir verschlossen; einmal mehr hatte ich mich ziemlich idiotisch benommen. Aber vielleicht war meine Dummheit auch Ausgangspunkt für eine Chance.
    Hastig schlüpfte ich in die Kleider, die ich zusammengeklaubt hatte. Ich würde mich unter die Ärzte und Pfleger mischen, sobald auf dem Gang da draußen das heillose Chaos ausbrach, das ich erwartete, wenn ich daran zurückdachte, welch grauenhafter Anblick sich dem Personal in der Kammer bot, die mein Zimmer gewesen war. Blieb nur zu hoffen, dass niemand auf meine Füße achtete, denn Schuhe hatte ich zwischen der schmutzigen Wäsche selbstverständlich nicht finden können. Oder ich verließ den Raum einfach mit einem der Wagen; niemand achtete in einer Klinik auf die dienstbaren Geister, die die Wäschekarren schoben. In Hollywoodfilmen klappte das immer, und wenn das, was ich in der jüngsten Vergangenheit (wie lange auch immer sie zum jetzigen Zeitpunkt andauern mochte, ich hatte jegliches Zeitgefühl längst verloren) auf Burg Crailsfelden und in diesem grauenhaften Klinikum erlebt hatte, kein schlechter Film war – was dann? Der Plan war besser!
    Ich wartete einen Augenblick, bis es einen Deut stiller auf dem Flur wurde. Ich durfte jetzt nichts überstürzen – aber auch keine unnütze Zeit verplempern. Das richtige Maß der Dinge war gefragt. In wenigen Momenten würde es hier von Pflegern und Ärzten nur so wimmeln – es war nicht auszuschließen, dass jemand darunter war, der mich allem Schrecken und meiner eher notdürftigen Verkleidung zum Trotz sofort wiedererkannte. Entschlossen stieß ich die Tür auf

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