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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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eine nicht unerhebliche Summe aus unserem Stiftungsvermögen. Frau Stein wird damit in die Lage versetzt werden, ihr Leben von Grund auf zu verändern – wenn sie das denn möchte.«
    Von Thun verstaute seinen grauen Notizblock in seiner museumsreifen Aktentasche. Er wirkte erschöpft. Mit gebeugtem Gang ging er in Richtung Tür.
    »Was ... was ist mit Ellen?«, rief ich dem Advokaten nach. »Die Operation – wie ist sie ausgegangen?«
    »Es geht Frau Doktor Bergmann den Umständen entsprechend gut«, entgegnete der Alte, ohne sich dabei zu mir umzudrehen oder auch nur im Schritt innezuhalten.
    »Und Judith?«
    »Auch Frau Doktor Kuhrmann geht es gut.«
    Ich stutzte. Frau Doktor Kuhrmann, dachte ich verwundert. War Judith etwa Akademikerin? Oder sogar Ärztin?
    Ich öffnete den Mund, um dem Greis eine entsprechende Frage nachzuwerfen, aber es war bereits zu spät. Von Thun hatte den kleinen Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen. Warum hatte Judith mir nicht gesagt, dass sie Ärztin war?
    Vielleicht ist sie das ja gar nicht, redete eine leise Stimme hinter meinen Ohren beschwichtigend auf mich ein.
    Und wenn doch? Konnte es sein, dass sie irgendetwas mit diesem ominösen Professor und seinen menschenunwürdigen Forschungen zu tun hatte? Konnte es sein, dass sie mich in seinem Auftrag –?
    Ich hatte sie nie gefragt, was sie von Beruf war. Deshalb hatte sie es mir nicht gesagt. Verdammtes Erbe! Ich war einfach mit einer mir wildfremden Frau in die Kiste gesprungen, mit einem Mädchen, von dem ich nichts, aber auch wirklich gar nichts wusste! So schnell konnte es gehen, wenn die Gier nur groß genug war. Wie hatte ich nur so dämlich sein können, mich darauf einzulassen.
    Wahrscheinlich hatten die perversen Alten, von denen es hier irgendwo ein Nest geben musste, uns lüstern dabei zugesehen, wie wir übereinander herfielen!
    Doktor Kuhrmann ... Es ärgerte mich, dass ich nicht mehr über Judith wusste, selbst dann, wenn sie tatsächlich keine aktive Rolle in diesem ganzen Komplott spielte. Ich hatte sie flachgelegt und es sogar insgeheim darauf abgesehen, ein Kind mit ihr zu zeugen. War es möglich, dass all die euphorischen Gefühle, die in dieser Nacht über mich hereingebrochen waren, als wir einander die Kleider vom Leib gerissen hatten, nichts anderes waren als ein Schutzwall, den meine Seele ganz bewusst um sich herum errichtet hatte, damit sie dahinter von der Einsicht, dass ich mich quasi prostituierte, verstecken konnte? Konnte man sich Liebe einreden?
    Ich gab mir wirklich Mühe, mich nur über mich selbst zu ärgern, schließlich bestand rein objektiv betrachtet überhaupt kein Grund, auf Judith – meine süße, kleine Judith – wütend zu sein. Ich selbst war es gewesen, der sich etwas vorgemacht hatte, um der Erkenntnis, dass ich mich verkaufte, aus dem Weg zu gehen, und trotzdem fühlte ich mich von ihr missbraucht. Wenn sie mir einen Doktortitel vorenthalten hatte, für den sie jahrelang studiert haben musste, was hatte sie mir dann noch alles verschwiegen?
    Und warum war sie als Einzige so vollkommen unverletzt aus der ganzen Sache herausgekommen? Hatte sie vielleicht von Anfang an gewusst, was hier geschehen sollte?
    Sie hatte man nicht zu einem so bestialischen Selbstversuch genötigt wie Ellen! Und wo war sie jetzt?
    Ich fühlte, wie mein Herz heftiger zu schlagen, meine Halsschlagadern schneller zu pulsieren begannen. Was war mit mir los? Es war doch nicht normal, dass ich mich wegen solch einer Lappalie gleich so aufregte, dass ich in eine neue Information über einen Menschen, den ich mochte, gleich eine Weltverschwörung hineininterpretierte. Möglicherweise war das Teil meiner Krankheit. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was Ellen über den Stirnlappen der Großhirnrinde erzählt hatte. Persönlichkeitsstruktur, Intelligenz, Wille, Bewusstsein, Gedächtnis, Lernfähigkeit ... All das drohte der Tumor zu zerfressen.
    Ich strengte an, was er mir zu diesem Zeitpunkt noch von meinem Großhirn gelassen hatte, und bemühte mich, der Stimme meiner Vernunft zu lauschen, die leise in dem Gedankenwirrwarr hinter meiner Stirn flüsterte.
    Wenn Judith nicht gerade Chirurgin war, dann konnte sie sich wohl schlecht selbst operieren. Ebenso gut konnte sie einen Doktor in Philosophie haben, in vorderasiatischer Geschichte, in Parapsychologie oder sonst was. Es bestand wirklich kein Anlass, mich so aufzuregen. Und dass sie nicht mit ihrem Titel hausieren ging, konnte man schließlich auch

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