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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Lippen, doch aus den Lautsprechern erklang die Stimme eines Kindes, eines kleinen Jungen!
    Der Arzt und die Schwester blickten einander verwundert an. Plötzlich griff der Arzt nach den Elektrodenplatten. Ganz langsam hob er sie und setzte sie sich auf beiden Seiten des Kopfes an die Schläfen.
    »Doktor Schmidt ...« In der Miene der Krankenschwester spiegelte sich blankes Entsetzen, und auch ich – das Ich, das sich in der Aufzeichnung betrachtete – hielt vor Schreck die Luft an.
    Im nächsten Augenblick zuckte der Arzt kurz zusammen und sank dann in sich zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man allesamt gleichzeitig durchtrennt hatte.
    »Stelle jetzt acht Mikrosekunden und dreihundertsechzig Joule ein«, befahl die Kinderstimme.
    Schwester Carla gehorchte, als sei sie schon immer eine verschworene Komplizin meiner Wenigkeit gewesen. Sie drehte den Regler hoch und beugte sich über den Arzt.
    »Ich glaube, der Doktor braucht noch eine Behandlung«, sagte die Kinderstimme in sachlich trockenem Tonfall, während der Frank auf dem Monitor die Lippen bewegte.
    Carla beugte sich zu dem jungen Arzt hinab. Auch sie setzte die Elektrodenplatten an die Schläfen des Arztes, woraufhin sich der Körper unter dem heftigen Elektroschock selbst bewusstlos noch ebenso aufbäumte, wie meiner es kurz zuvor getan hatte. Aber das Aufbäumen des Mediziners war doch ein etwas anderes – es unterschied sich von dem meinen in der Art, in der der Körper wieder auf den Boden zurücksackte. Es hatte etwas Endgültiges.
    Die rothaarige Schwester schreckte zurück. Plötzlich schien sie zu begreifen, was sie getan hatte. Einen winzigen Moment lang war der Bann gebrochen. Sie sprang auf und schien auf die Tür zustürmen zu wollen, doch die Kinderstimme aus meinem Mund gebot ihr Einhalt.
    »Du bist mir zu aufgeregt, Carla«, sagte der Knabe, der mit meinem Mund sprach. »Ich glaube, du brauchst ein Beruhigungsmittel.«
    Die Krankenschwester verharrte mitten im Schritt, sah kurz zu mir hin und nickte schließlich wie eine gehorsame Streberin, die sich nicht anmerken lassen wollte, wie schwer ihr die von ihr geforderte Leistung fiel. Sie griff nach der mächtigen Spritze, die in den Apparat neben meiner Liege eingespannt war, und zog eine steril verpackte Kanüle aus der Tasche ihres Kittels, die sie auf die Spritze aufsetzte. Einen klitzekleinen Moment schien sie zu zögern. Sie verharrte mitten in der Bewegung und starrte mit schreckensweiten Augen auf den Arzt zu ihren Füßen hinab. Er lag mausetot auf dem buchstäblich klinisch sauberen Boden. Seine glasigen Augen waren ins Unendliche gerichtet, und ein dünner Speichelfaden troff aus seinem Mundwinkel.
    Das Entsetzen wich aus Carlas Augen und machte reiner Entschlossenheit Platz. Mit einer entschiedenen Bewegung hob sie die Spritze, öffnete den Mund und injizierte sich die klare Flüssigkeit in die Zunge. Kaum dass sie das getan hatte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig, so, als hätte sie erst jetzt und sehr plötzlich begriffen, was sie gerade getan hatte. Sie schleuderte die Spritze im hohen Bogen von sich weg und begann zu spucken, als könnte sie auf diese Weise das Beruhigungsmittel aus ihrem Blutkreislauf bekommen. Dann begann sie zu taumeln. Unsicher setzte sie sich auf den Boden neben den toten Arzt und sackte Augenblicke später neben ihm zusammen. Mit der Rechten umklammerte sie ein Stuhlbein und versuchte verzweifelt, sich daran in die Höhe zu ziehen, sich noch ein letztes Mal aufzurichten. Röchelnde Laute drangen aus ihrer Kehle. Dann lag sie still.
    Ich sah mich auf das Bett zurücksinken und die Augen schließen. Einige Herzschläge lang lag ich still da. Dann hob ich blinzelnd die Lider und blickte mich verwundert um.

»Wie es scheint, wohnen zwei Seelen in deiner Brust«, spottete der Professor.
    Mein Verstand wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, zu akzeptieren, was ich gesehen hatte.
    »Der Film ist manipuliert!«, entfuhr es mir fassungslos.
    »Das ist so nicht geschehen! Ich ...«
    »Manipuliert? In so kurzer Zeit? Die besten Trickstudios der Welt wären dazu nicht in der Lage.« Der Professor blickte auf die schwere silberne Uhr an seinem Handgelenk. »Es ist nicht einmal eine halbe Stunde vergangen, seit diese Aufnahmen entstanden sind. Diese Bilder lügen nicht.«
    »Dann wurde der Film vorher gedreht«, beharrte ich stur. »Es war nur gespielt. Und dann haben Sie diese Morde begangen ...« Ich hörte selbst, wie sich meine Stimme

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