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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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unterstützt und so Kontrolle aufgebaut. Unsere Art des Vorgehens hingegen wäre es gewesen, einen Begabten im unmittelbaren Umfeld Saddams zu platzieren und so dauerhaft auf ihn Einfluss zu nehmen. Wir hätten ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Auf diesem Wege hätten wir den Bürgerkrieg übersprungen und einen gerechten Staat aufgebaut.«
    Was ich hörte, irritierte mich zutiefst. Was Professor Sänger erzählte, lief allen Erkenntnissen der letzten Stunden, die ich über seine Persönlichkeit erlangt hatte, so grundsätzlich zuwider, dass ich es einfach nicht annehmen konnte, ganz gleich, wie vernünftig seine Worte klangen.
    Wer Kinder quälte, der konnte einfach kein guter Mensch sein. Etwas stimmte nicht an seiner Argumentation ...
    »Und was wäre passiert, wenn es freie Wahlen im Irak gegeben hätte?«, fragte ich schließlich. »Das hätte doch das Ziel sein müssen, wenn man Saddam zu einem guten Menschen gemacht hatte. Hätten Sie dann den nächsten Präsidenten auch wieder manipuliert? Und was wäre dann aus der Freiheit der Wahlen geworden? Regiert hätte doch Ihr Geschöpf und nicht mehr der Mann, den die Massen einmal zu ihrem Präsidenten bestimmt haben.«
    In Sängers Augen blitzte es für einen winzigen Moment feindselig auf. Ich habe den Schwachpunkt getroffen, dachte ich triumphierend. Das war der Stöpsel, an dem man nur kurz ziehen musste, um alles Gutmenschliche wieder von ihm ablaufen zu lassen. Dennoch bemühte er sich um einen nahezu väterlichen, ruhigen Tonfall, als er antwortete.
    »Weißt du, mein Junge«, seufzte er. »Schon in der Antike hat Aristoteles erkannt, dass die Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen ist, weil sie stets zur Diktatur der Mittelmäßigkeit führt. Der Gestalt gewordene faule Kompromiss. Klare Lösungen sind hier unmöglich.
    Dennoch könnte man dieses System zum Schein aufrechterhalten, wenn man nur die Gedanken der Politiker beeinflusst. Stell dir vor, man könnte Selbstsucht und den Einfluss von Lobbyisten einfach ausblenden. Es würde nur noch die Vernunft regieren. Auf diesem Wege ließe sich der Traum vom Weltfrieden erreichen.«
    »Und dieser Traum hat unter dem Hitler-Regime im Auftrag des Diktators begonnen«, entgegnete ich zynisch.
    Der Professor lachte. »Du begreifst immer noch nicht die Möglichkeiten«, gab er kopfschüttelnd zurück. »Er wäre unser erstes Versuchsobjekt gewesen. Er hat einen starken Staat geschaffen. Wir hätten diesem Staat seine Menschlichkeit zurückgegeben und alle Auswüchse des NS-Regimes eliminiert.«
    »Und daran hat ein Sturmbannführer wie Krause mitgearbeitet«, empörte ich mich. Ich konnte immer weniger glauben, dass Sänger tatsächlich von seiner eigenen Sache überzeugt war. Wie schlecht konnte ein Mensch sein? Wie sehr konnte er die Augen vor sich selbst verschließen?
    Und verdiente ein gefühlloses Wesen wie er überhaupt die Bezeichnung Mensch? »Ein Mann, der Kinder entführt und eine Unzahl von Verbrechen begangen hat!«, setzte ich hinzu.
    »Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, mein Junge«, antwortete Sänger mit einem großväterlichen Lächeln, das so sehr misslungen war, dass es keinen Zweifel daran zuließ, dass dieser Mann überhaupt keine Enkel hatte, wahrscheinlich nicht einmal eigene Kinder.
    »Ungewöhnliche Zeiten erfordern manchmal ungewöhnliche Maßnahmen. Was zählt, ist das Ziel.«
    »Mit dieser Ausrede kann man jedes Verbrechen rechtfertigen – es geschah aus hehrer Absicht«, spottete ich und lachte bitter. »Was für eine Welt soll das werden, die aus solchen Wurzeln erwächst?«
    Das klägliche Lächeln verschwand aus Sängers Gesicht.
    Stattdessen schüttelte er verärgert den Kopf. »Du willst es einfach nicht begreifen, nicht wahr?«, fuhr er mich an.
    »Du bist immer noch derselbe störrische Dickkopf, der du mit zwölf Jahren warst! Jeder Guerillero weiß, dass die effektivste Form, einen Staat zu stürzen, die ist, ihn von innen heraus zu unterwandern. Genau das haben wir getan.
    Man muss zunächst mit den Wölfen heulen, damit man in die Position gelangt, ihnen die Kehle durchzubeißen.«
    Die Worte des Professors schienen eine Art schleichendes Gift zu enthalten. Es ließ sich nicht leugnen, dass ihnen eine gewisse Logik innewohnte, und sei sie noch so verdreht und kompliziert. Aber konnte ein Mensch, der sich einmal mit dem Blut Unschuldiger besudelt hatte, jemals unter die moralisch Rechtschaffenen zurückkehren? Schloss ein solcher Kompromiss nicht ein,

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