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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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nur zugänglich war, wenn man um den versteckten Eingang wusste, gab es dort keine Wachen. Ihr seid also alle ungehindert in den Burgfried, das Allerheiligste unserer Forschungsarbeit, marschiert. Das allein wäre schon eine Katastrophe gewesen! Aber dann kam es zu allem Überfluss auch noch zu dieser Auseinandersetzung dort. Die fünf haben euch gestellt. Ursprünglich solltest du nur eine tüchtige Abreibung für deinen Ungehorsam bekommen, Frank, doch dann ist Miriam die Treppe zur Aussichtsplattform auf dem Burgfried hinaufgelaufen.
    Du bist ihr gefolgt, die anderen haben euch nachgesetzt, und dann ...«
    Der alte Mann geriet einen Moment ins Stocken, so als berührte ihn die Geschichte tatsächlich, die er gerade erzählte, und nicht etwa der zuvor schon erwähnte Umstand, dass in ihrer Konsequenz sein zweifelhaftes Lebenswerk zu zerbersten gedroht hatte.
    »Ich hatte euch damals unbeaufsichtigt gelassen«, fuhr er schließlich fort, nachdem er einige Atemzüge des nachdenklichen Schweigens hatte verstreichen lassen. »Es war auch mein Fehler. Maria und die anderen haben Miriam dazu gebracht, auf die Zinnen zu steigen. Ich habe es von meinem Arbeitszimmer aus gesehen. Sie haben sie dort dazu gebracht, diesen grotesken Tanz aufzuführen.
    Ich hatte Musik gehört, weißt du, eine Langspielplatte mit Liedern von Laie Andersen. Es lief gerade Lili Marleen, und das ziemlich laut ... Das Lied hallte auf dem Burghof wider, und Miriam führte auf der Zinne ihren Tanz auf.
    Und dann ist sie gesprungen. Nicht wie eine Selbstmörderin – eher wie eine Turmspringerin bei der Kür. Stefan und Ed haben dich festgehalten. Du konntest nichts tun, als tatenlos zuzusehen. Weder geistig noch körperlich warst du stark genug, dich gegen alle anderen zu stellen.«
    Sänger seufzte tief. Ein kleines bisschen hatte ich den Eindruck, dass es ihm gut tat, die ganze Geschichte noch einmal in allen Details wiederzugeben. Es hatte nicht in meiner Absicht gelegen, ihm einen Gefallen zu tun, dennoch ließ ich ihn weitererzählen. Ich musste alles wissen.
    Der Professor ließ sich nicht eigens dazu auffordern. Seine Erzählwut war wirklich erstaunlich – nachdem ich mich zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum mit von Thun unterhalten hatte, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ein Redefluss wie seiner noch zu übertreffen wäre, aber Sänger hatte den alten Advokaten wahrscheinlich längst eingeholt, in Zeit und Worten gerechnet.
    Vielleicht war stundenlanges Reden mit wehrlosen Kindern und buchstäblich ans Bett gefesselten Patienten eine Art Eigentherapie, die manche ältere Menschen an sich selbst praktizierten, um beispielsweise die Schrecken der durchlebten Kriege – und waren sie noch so stolz auf die Sache, für die sie gekämpft hatten – auf den letzten Drücker noch zu verarbeiten. Vielleicht versuchten von Thun und Sänger aber auch nur, sich ihr Gewissen rein zu reden.
    »Miriams Tod ließ sich nicht verheimlichen«, seufzte der Professor. »Es kam zu einer umfassenden polizeilichen Untersuchung der Todesumstände. Ein Teil der Anlagen wurde entdeckt; das meiste konnte ich jedoch beiseite schaffen oder tarnen. Das Resultat war jedoch, dass man der Schule verstärkte Aufmerksamkeit widmete. Es kam auch ans Licht, dass es im Laufe der dreißig Jahre, die ich die Schule nach dem Krieg unterhalten hatte, mehrfach zu Schwangerschaften von Schülerinnen gekommen war. So blieb mir letzten Endes keine andere Wahl, als die Schule schließen zu lassen und mich vermeintlich aufs Altenteil zurückzuziehen. Mehr als zehn Jahre vergingen, bis ich, gestützt von meinen Geldgebern, eine Software-Firma in Crailsfelden gründen konnte. Während der Bauarbeiten wurde heimlich eine Verbindung zu den unterirdischen Anlagen der Burg hergestellt. In den fast zwanzig Jahren, die mittlerweile seit Schließung der Schule vergangen waren, hatte ich reichlich Zeit, darüber nachzudenken, welche neuen Wege man beschreiten konnte.«
    »Und Ihr neuer Weg führte zu der Erkenntnis, dass es besser wäre, uns alle umzubringen«, schlussfolgerte ich bitter.
    Zu meinem Erschrecken nickte der Professor. »Ich sehe, es hat keinen Sinn, dir etwas vorzumachen«, seufzte er.
    »Ja, ich wollte euch töten. Ihr wart nicht länger steuerbar.
    Euch herumlaufen zu lassen war ein Risiko für die Öffentlichkeit. Deshalb solltet ihr sterben. Wie ich schon sagte: Es gab eine versteckte Gaspatrone in der Küche, ein geruchloses Nervengas. Ihr hättet nichts

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