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Nemti

Nemti

Titel: Nemti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Wloch
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konnte Seths Rückzug aus der Welt der Lebenden verhindert werden. Das zu den Beweggründen der Bruderschaft. Jetzt möchte ich ins Detail gehen. In einer der ersten Aufzeichnungen von Jean-Baptiste Laporte, die ich ausgewertet habe, stieß ich auf etwas, was mich tief erschüttert hat. Er brüstete sich mit zwei Morden, die er in Paris verübt hat.«
    »Der Gründer der Bruderschaft in Europa war ein Mörder?«, entfuhr es Weinbrecht.
    »Laporte hat das natürlich vollkommen anders gesehen. Für ihn waren die Gemeuchelten agneaux sacrificiels , Opferlämmer, die zur Ehre Seths ihr Leben lassen mussten. In den Annalen fand ich eine deutsche Übersetzung des ursprünglich in französischer Sprache abgefassten Textes. Ich zitiere: Im Jahr dreizehn der Republik. Am achtzehnten Tag des Vendémiaire huldigte ich dem Wanderer mit einem Opfer. Das lotterhafte und sittenlose Leben des Mannes bekam durch seinen Tod in den Gassen von Popincourt einen Sinn.
    Vierundzwanzigster Vendémiaire. Seth, der Glorreiche, hat das Opfer akzeptiert. Der Wanderer hat es mir gezeigt. Ich bin voller Hoffnung.
    Dreißigster Vendémiaire. Der Wanderer verlangt nach weiterem Blut. Eine unnütze Existenz aus dem Bois de Boulogne gab ihr Blut zur Verherrlichung Seths.«
    »Versteh ich das richtig«, unterbrach Habermehl Lukas’ Ausführungen, »dass mit dem Wanderer der Komet Scarlatto, Nemti, gemeint ist?«
    »Ja. Der Vergleich, den Laporte mit dieser Wortwahl angestellt hat, ist durchaus zutreffend. Kometen sind kosmische Wanderer.«
    »Über welche Zeit sprechen wir eigentlich, Herr Dux?«, fragte Frau Doktor Linus. »Würden Sie bitte die Datumsangaben in eine allgemein verständliche Form übersetzen?«
    »Gern. Das Zitat bezieht sich auf den Zeitraum vom zehnten bis zum zweiundzwanzigsten Oktober 1804. Laporte benutzte für seine Eintragungen die Datierung nach dem französischen Revolutionskalender, wie es damals für staatliche Institutionen vorgeschrieben war.«
    »Erkennen Sie einen Grund für diese Schreibweise?«, fragte Habermehl.
    »Wahrscheinlich arbeitete Laporte in einer öffentlichen Einrichtung oder Administration. Das würde auch seinen späteren Werdegang erklären. Doch dazu später.
    Eine Bemerkung in den Annalen erscheint mir wichtig. Am neunundzwanzigsten Brumaire, dem zwanzigsten November 1804, schrieb Laporte, er hätte Seth zutiefst enttäuscht. Die beiden Opfer waren vergeblich gewesen, der Wanderer sei verschwunden. Daraus kann man folgenden Schluss ziehen: Wenn er in der Lage war, diese und später weitere Eintragungen zu hinterlassen, ist er nicht gefasst worden.«
    Brückner füllte seine Tasse auf und verschüttete dabei einige Tropfen auf die Untertasse. Er wischte sie mit einer Serviette weg und sprach Lukas an. »Sie haben zwei Morde aufgeklärt, die vor fast zweihundert Jahren verübt worden sind. Ist Ihnen das klar?«
    Lukas nickte ihm zu und lächelte.
    »Sie deuteten vorhin an«, sagte Habermehl, »dass Sie uns etwas über den weiteren Lebensweg dieses Laporte berichten wollen. Inwieweit ist das wichtig?«
    »Weil der Lebenslauf einen Bogen zu den aktuellen Mordfällen spannt«, erläuterte Beyer. »Laporte brachte Ende 1804 zwei Menschen um, als Scarlatto am Himmel strahlte. Jetzt kommt der Knackpunkt: Es blieb bei den beiden Morden. Etwas muss geschehen sein, was ihn hinderte, den oder die nächsten Morde zu verüben.«
    »Wäre interessant zu wissen, was«, warf die Staatsanwältin ein.
    »Vorab ein kurzer Exkurs in die Geschichte. 1797 wurden die linksrheinischen Gebiete dem französischen Staat angegliedert. Den gesamten Ostteil der Eifel schlug man dem Département de Rhin-et-Moselle zu. Im November 1804 tauchte Laporte im Kanton Polch auf und trat eine Stellung in der dortigen Verwaltung an. Die Versetzung von Paris in die Provinz, die damit einhergehenden Umstände, die zeitraubende Reise, die Etablierung in Polch, dürften Laporte gehindert haben, weiter zu morden. Dass er weitere Blutopfer geplant hatte, dürfte klar sein. Wie sonst wäre seine tiefe Niedergeschlagenheit zu erklären, die aus dem Eintrag in den Annalen herauszulesen ist? Eine weitere Gelegenheit gab es nicht, da der Wanderer erst nach zweiundfünfzig Jahren wiederkehren würde. Es gab nur eine Chance der Wiedergutmachung: Er musste die Bruderschaft ausbauen und neue Anhänger gewinnen. Die Bruderschaft musste belebt und in die Lage versetzt werden, die nächste sich bietende Gelegenheit zu nutzen.«
    »So kam ein Kult aus dem

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