Nemti
alt.«
»Wären Sie so freundlich und bringen mir ein Buch aus dem Regal? Hieb- und Stichwaffen des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit.«
Lukas brachte es ihm.
Knickriem hielt das Buch hoch. »Sehen Sie.«
Habermehl und Lukas warfen einen Blick auf die Abbildung. Die Übereinstimmung war bemerkenswert.
»Der Dolch ist komplett aus Metall gefertigt. Griff und Parierstange sind an den Enden gerundet und nur wenig verziert. Die Klinge ist stabil, schmal und sehr spitz. Eine typische Stichwaffe.«
»Hervorragend geeignet, unliebsame Zeitgenossen aus dem Weg zu räumen«, stellte Lukas fest.
»Ein Stilett ermöglichte dem Täter, unauffällig zu töten. Die Italiener gaben dem Dolch einen geradezu liebevollen Namen. Misericordia. Bedeutet auf Deutsch Barmherzigkeit.«
»Das hört sich nett an, aber auch ziemlich heuchlerisch.«
»Liebevoll? Das ist eine Verhöhnung«, beschwerte sich Habermehl. »Seit wann ist das Meucheln eines Menschen eine Gnade?«
»Es liegt in der Natur des Menschen, selbst Tötungsinstrumente mit Kosenamen zu belegen. Die Guillotine zum Beispiel wurde volkstümlich als das nationale Rasiermesser oder die Kurzmacherin bezeichnet.«
»Ich denke, wir sollten das Thema nicht weiter ausführen«, entschied Habermehl. »Noch Fragen, Herr Dux?«
Lukas verneinte.
»Dann fahren wir ins Kommissariat zurück. Dort warten zwei Kartons Arbeit auf uns.«
Dienstag, 25. September 2001
Z usammen mit Robert Beyer hatte Lukas anderthalb Tage lang den Inhalt der Umzugskartons durchforstet. Ihr Auftrag lautete, einen Vortrag über die Motivation vorzubereiten, aufgrund der die grauenhaften Morde verübt worden waren, einschließlich der Hintergrundinformationen. Etliche Tassen Kaffee unterstützten sie dabei, die zum Teil recht staubigen Dokumente zu sichten.
Lukas durchleuchtete die Gedankenwelt seines Freundes, den er gut zu kennen glaubte. Der Meister und Jan hatten eine Scheinwelt aufgebaut, in die sie sich zurückzogen und von der ihre Umgebung nicht das Geringste ahnte. Er bekam einen Einblick in die Tiefen eines irrationalen Geistes, eine Welt, übersättigt mit völlig abstrusen Ideen und Vorstellungen, zu denen ein normal denkender Mensch nicht fähig war. In einer Art Tagebuch wurden Dinge gerechtfertigt, die seinen geistigen Horizont überstiegen. Brutale Morde, mit salbungsvollen Worten als religiöse Rituale dargestellt und verharmlost. Das akzeptierte er nicht.
Lukas fühlte sich an das erste Zusammentreffen mit der Staatsanwältin erinnert. Auf dem Weg zum kleinen Sitzungszimmer trippelte Frau Doktor Linus wieder vor ihm her. Diesmal in Begleitung von Kriminalrat Brückner.
Im Sitzungszimmer war eingedeckt. Warmhaltekannen mit Kaffee standen auf einer Anrichte bereit. Auf dem großen Tisch standen auf farbenfrohen Servietten mit Herbstmotiven Dessertteller mit Gebäck.
Der Kriminalrat blieb, ganz nach Manier eines Hausherrn, an der Tür stehen und ließ die Teilnehmer eintreten. Er wies jedem einen Platz zu. Beyer und Lukas blieben Stühle am Kopfende des Tisches vorbehalten.
»Frau Doktor Linus, meine Herren«, eröffnete Brückner die Zusammenkunft. »Sie wissen, weshalb wir uns heute Morgen hier versammelt haben. Herr Beyer und Herr Dux haben einen Wust an Unterlagen durchgearbeitet, die im Haus der Gleißners sichergestellt worden sind. Ich will keine lange Vorrede halten, dazu ist unser aller Zeit zu kostbar. Meine Herren, fangen Sie an. Wir sind Ihr Publikum.«
Lukas blickte in die Runde. Er fuhr sich über die Wundstellen der frisch gezogenen Fäden über seiner Augenbraue. Sein Blick blieb an Habermehl hängen, der ihm aufmunternd zunickte. Er atmete tief durch und begann nach einer kurzen Begrüßung mit dem Vortrag.
»Jan Gleißner war der Letzte in einer langen Reihe von Männern, die einer geheimen Bruderschaft vorstanden, deren Ursprung sich im Dunkel der Geschichte verliert. Um das Motiv für die Morde annähernd zu erfassen, verstehen werden wir es nicht, bedarf es eines Rückblicks. Was sich in den letzten Wochen in der Eifel ereignet hat, begann vor fast zweihundert Jahren in Frankreich.«
»Sie wollen andeuten, Herr Dux, dass ein Motiv für die Mordserie in der Jetztzeit, in der Zeit um achtzehnhundert zu finden ist?«, warf Brückner ungläubig ein.
»Damals nahm alles seinen Anfang, was am letzten Donnerstag sein Ende gefunden hat. Gleißner war der Letzte seiner Art in der Eifel, um es einmal so auszudrücken. Lassen Sie mich von Anfang an
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