Nemti
ersten Herbstmorgens hatte sich in der Nacht stark abgekühlt. Sie war mit Feuchtigkeit gesättigt. Ein frischer Südwestwind trieb immer wieder Nebelschwaden wie Irrwische über das Land. Das Tageslicht sickerte nur dürftig in den Nebel hinein.
Nördlich von Ettringen bog Habermehl von der Landesstraße, die nach Bell führt, links ab. Die Straße verlief leicht bergab auf das Nettetal zu. Auf der Höhe verdichtete sich der Nebel zunehmend und ließ die Konturen des Waldes zwischen dem Hochsimmer im Süden und dem Sulzbusch nördlich davon schemenhaft verschwimmen. Die Bäume hoben sich als riesige Silhouetten vom feuchtbleichen Himmel ab. Sensible Gemüter konnten leicht auf unruhige Gedanken kommen.
Je näher sie dem Nettetal kamen, desto undurchdringlicher wurde der Nebel. Die Sichtweite sank auf unter fünfzig Meter. Habermehl drosselte die Geschwindigkeit. Mit eingeschalteten Nebelscheinwerfern, die ihre weißen Lichtfinger in die graue Düsternis zu bohren versuchten, schlich der Wagen über die Talstraße.
Zwanzig Minuten später saßen sie dem Studenten gegenüber.
»Was macht das Bein?«, fragte Lukas freundlich und deutete auf den Gipsverband.
»Es juckt erbärmlich. An Ihnen sind die letzten Tage auch nicht spurlos vorübergegangen.«
»Nichts Ernstes.« Lukas legte Jans Mordwaffe auf den Boden, die umhüllt mit einer Plastikfolie in mehreren Lagen Packpapier steckte. Dass in einem Plastikbeutel verpackte Messer kam daneben.
»Weshalb sind Sie gekommen?« Knickriem setzte sich im Sessel zurecht.
Mit einer leichten Kopfbewegung gab Habermehl Lukas zu verstehen, dass er das Gespräch eröffnen sollte.
»Wie Sie sicher aus der Presse erfahren haben, ist die Mordserie beendet. Allerdings sind noch Fragen offen, auch zur Tatwaffe des Schlitzers.«
»Ist sie in dem Paket?«
»Ja. Wir vermuten, es mit einer alten Waffe zu tun zu haben. Sie könnten uns bei der Identifizierung behilflich sein.«
»Spätantiken bis mittelalterlichen Waffen gilt neben der klassischen Archäologie mein besonderes Interesse.«
»Und wie steht es mit altägyptischen Waffen?«
»Woher wissen Sie, dass sie aus Ägypten stammt?«, fragte Knickriem verwundert.
»Das vermuten wir. Eine in die Klinge gravierte Figur deutet darauf hin.«
»Dann lassen Sie mal sehen.«
Vorsichtig faltete Lukas die Packpapierlagen auseinander.
Voller Überraschung riss Knickriem die Augen auf. »Das ist ein Chepesch.«
Habermehl zeigte sich über die prompte Identifizierung ebenso erstaunt wie Lukas. »Sie kennen diesen Typ Waffe?«
»Moment, Herr Knickriem«, unterbrach ihn Lukas. »Sie haben diesen Begriff bei meinem ersten Besuch erwähnt, da aber für eine Konstellation von Sternen.«
»Zunächst zu Ihrer Frage, Herr Habermehl. Ich habe bei meinem letzten Aufenthalt in Ägypten ein Relief mit der Darstellung eines Kriegszuges gesehen, auf dem die Waffe abgebildet ist. Daher die schnelle Identifizierung. Die Chepesch-Waffe gehörte seit dem Neuen Reich zur Ausrüstung der Fußsoldaten des Pharaos. Was Sie meinen, Herr Dux, war das Sternbild Chepesch-en-pet-mehtit, der Große Wagen.«
»Das hört sich kompliziert an.«
»Vieles im Leben der alten Ägypter ist für uns schwer oder nicht nachvollziehbar. So hatte das Wort Chepesch mehrere Bedeutungen. Es galt auch als königliches Insigne, in der Funktion des Krummschwerts des Königs , als Siegeswaffe, mit der er seine Feinde schlägt.«
»Dann haben wir es mit einem kurzen Krummschwert zu tun?«, fragte Habermehl.
»Wir müssen zwischen dem Krumm- oder Sichelschwert, mit der Schneide auf der konkaven Innenseite und dem Chepesch mit einer konvexen Klinge unterscheiden. Darf ich es mir genauer ansehen?«
Lukas reichte es ihm.
»Wie kommt ein Chepesch in die Eifel?«, fragte Knickriem.
»Das müssen wir noch herausfinden. Ihnen ist die stilisierte Figur auf der Klinge aufgefallen?«
»Sicher. Eine menschliche Gestalt mit Tierkopf, das Seth-Tier.«
»Was müssen wir uns darunter vorstellen?«
»Viele Darstellungen Altägyptens lehnen sich sehr stark an die Natur an und sind meistens sofort als das zu erkennen, was sie darstellen sollen. Nicht so das Seth-Tier. Entweder ist dieses Tier ausgestorben oder aus irgendeinem Grund aus dem Bewusstsein der Menschen getilgt.«
»Lassen Sie uns wieder über das Chepesch sprechen«, schlug Habermehl vor. »Wie alt könnte es sein?«
Knickriem griff nach einer Lupe, die auf dem Tisch lag. »Dem ersten Anschein nach könnte es eine
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