Nemti
berichten.
Wie Sie möglicherweise aus dem Geschichtsunterricht in der Schule wissen, segelte 1798 ein französisches Expeditionsheer unter General Napoléon Bonaparte nach Ägypten. Die britische Vormachtstellung im östlichen Mittelmeerraum sollte gebrochen werden. Unter den Soldaten befand sich ein gewisser Jean-Baptiste Laporte, ein Grenadier. Er war einer der Überlebenden des letztendlich gescheiterten Feldzuges, der erst 1801 auf abenteuerlichem Weg nach Frankreich zurückkehrte.«
»Ist es nötig, so weit zurückzugehen?«, fragte Habermehl.
»Wir denken schon«, fuhr Lukas unbeirrt fort. »Laporte kam während des erzwungenen Aufenthalts in Ägypten mit einer lokalen Bruderschaft in Kontakt. Es gelang ihm, als einzigem Nicht-Ägypter, aufgenommen zu werden und in der Hierarchie aufzusteigen. Er erlangte sogar einen gewissen Einfluss. Wie er das geschafft hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Dieser Einfluss und das Versprechen, in Europa einen Ableger der Bruderschaft oder Geheimorganisation zu gründen, ermöglichte ihm letztendlich, in seiner Heimat wieder Fuß zu fassen. Die Bruderschaft unterstützte ihn finanziell.
Nach seiner Rückkehr nach Frankreich verliert sich vorübergehend seine Spur. Über die nächsten Jahre ist in den Unterlagen nichts zu finden. Bis 1804. In diesem Jahr beginnen die Eintragungen in den Annalen. Auf der ersten Seite ist der Name der Geheimorganisation verzeichnet: Les Enfants de Setech, die Kinder des Setech.«
»Die Namensähnlichkeit mit Seth ist doch kein Zufall, oder?«, fragte Brückner.
Frau Doktor Linus meldete sich zu Wort. »Von wem sprechen wir hier? Ich bitte um Aufklärung.«
Beyer gab einen groben Überblick über das, was sie von Jochen Knickriem erfahren hatten.
»Damit dürften wir ausreichend über diesen Gott informiert sein«, stellte Brückner fest. »Welche Ziele verfolgte die Organisation? Sollten wir darüber Bescheid wissen?«
»Unbedingt, Herr Kriminalrat«, sagte Beyer. »So unglaublich es klingt, aber das Wissen um die Ziele der Bruderschaft eröffnet uns das Motiv für die Morde. Zuvor sollten Sie aber wissen, dass die Gleißners Nachfahren des Jean-Baptiste Laporte sind.
Wir wissen nicht, ob dieser Kult bereits im alten Ägypten verbreitet war oder erst viel später entstanden ist. Seth manifestierte sich nicht nur durch eine Sternen-Konstellation, die wir heute als Großen Wagen kennen, sondern auch in einem Kometen. Dies allerdings ausschließlich in der Ideenwelt der Enfants de Setech.«
»Gibt es Hinweise, wann und wie die Bruderschaft dieser Anschauung verfallen ist?«, fragte Habermehl.
»Wir haben in den Unterlagen nichts darüber gefunden. Allerdings vermuten wir, dass das relativ spät in der Geschichte der Organisation geschehen ist. Begründung: Der Komet, von dem ich spreche, ist Scarlatto, wie er heutzutage offiziell genannt wird. Er ist ein periodischer Komet, der nach einer berechenbaren Zeit in Erdnähe auftaucht. Wäre dieser Komet schon vor Jahrhunderten oder bereits in der Antike bekannt gewesen, gäbe es darüber garantiert Aufzeichnungen. Es sind aber keine vorhanden. Darüber wird Ihnen Herr Dux mehr berichten.«
Beyer gab Lukas einem Wink.
»Das bedeutet, dass der Komet möglicherweise erst seit zwei- oder dreihundert Jahren bekannt ist. Jedoch ist das nur eine Vermutung, für die ich als Laie auf dem Gebiet der Astronomie keine Begründung liefern kann.«
»Welche Ideologie steckt hinter der Verbindung des Gottes Seth mit Scarlatto?«, wollte Brückner wissen.
»Es ist der absonderliche Glaube, dass der Komet das Kommen oder die Wiedergeburt des Seth ankündigen soll. Wenn Scarlatto erscheint, ist der Zeitpunkt nah. Allerdings muss Le Glorieux , der Glorreiche, wie er in den Annalen genannt wird, gebührend empfangen werden. Dazu sind Blutopfer nötig. Nimmt Seth die Opfer an, betritt er die Erde und schafft aus dem Chaos die göttliche Ordnung, das divine règlement . Diese Blutopfer waren und sind die Mission, die Les Enfants de Setech vordringlich zu erfüllen haben.«
Frau Doktor Linus warf Lukas einen ungläubigen Blick zu. »Morde als Blutopfer, um einen Gott versöhnlich zu stimmen. Wie krank ist das denn?«
Lukas ging nicht auf die Bemerkung ein. »Die Opferungen mussten zu bestimmten Zeitpunkten stattfinden.« Er erläuterte die Zusammenhänge. »Wurde der Komet schwächer, war das ein untrügliches Zeichen, dass Seth unzufrieden mit den Blutopfern war. Er verlangte nach weiterem Blut. Nur damit
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