Nemti
Kein Motiv, kein Verdächtiger erkennbar.«
Lukas schlug ein Blatt auf dem Schreibblock um und griff das nächste Thema auf. »Aus dem rechtsmedizinischen Gutachten geht hervor, dass der Mann zwischen sechzehn und achtzehn Uhr getötet wurde. Im oberen Brustbereich sind Strommarken von einem Elektroschocker festgestellt worden. Der Rechtsmediziner schreibt auch, dass Baertels Herz angegriffen war und der Schock möglicherweise Herzrhythmusstörungen oder Kammerflimmern ausgelöst haben könnte. Außerdem fehlt ihm etwa ein Liter Blut. Wo ist es? Hat der Täter es mitgenommen?«
Lukas blickte Habermehl an, der jedoch keine Anstalten machte, einen Kommentar abzugeben.
»Im Bericht der Spurensicherung steht, sie hätten verwischte Schleifspuren auf dem Waldboden zwischen Weg und Fundort der Leiche festgestellt. Der Täter hat sein Opfer auf dem Waldweg angegriffen und mit einem Elektroschocker schachmatt gesetzt. Danach mehr als zwanzig Meter in den Wald hineingezerrt und ihm dort die Kehle aufgeschlitzt. Warum hat er das gemacht? Wozu der Aufwand? Den Akt der Tötung hätte er doch gleich an Ort und Stelle erledigen können.«
»Sie machen sich Gedanken über den Tathergang?«
»Natürlich. Es beschäftigt mich, warum der Mord ausgerechnet an dieser Stelle verübt wurde. Was hat sich der Täter dabei gedacht?«
»Wir hatten auch in Betracht gezogen«, unterbrach ihn Habermehl, »Täter und Opfer waren gemeinsam unterwegs. Es kam zum Streit, aus welchem Grund auch immer, den einer nicht überlebt hat. Dieses Szenario haben wir schnell verworfen. Können Sie sich denken, warum?«
Jetzt will er mich testen . Lukas ordnete seine Gedanken. »Es wäre ungewöhnlich, wenn einer von zwei befreundeten Wanderern als Ausrüstung einen Elektroschocker und ein groß dimensioniertes Messer, oder was immer die Tatwaffe war, in seinem Rucksack mitführen würde. Das ist normalerweise nur der Fall, wenn ein Mensch von vornherein die Absicht hat, zu töten.«
Lukas blickte Habermehl an, aber der legte die Unterarme auf den Schreibtisch und hüllte sich in Schweigen.
»Wie ich gelesen habe, sind die Wege am Laacher Kopf nicht gut befahrbar, was einer schnellen Flucht hinderlich sein dürfte. Sind die Fahrzeugspuren ausgewertet?«
»Ja, ein Allerlei unterschiedlicher Spuren. Hat uns nicht weitergebracht. Fahren Sie fort.«
»Gern. Sehen Sie mir bitte nach, wenn ich meine Gedanken ein wenig ungeordnet darbringe.«
»Das sehe ich nicht so. Ist doch typisch für eine Ideenfindung.«
»Zur Täter-Opfer-Beziehung«, fuhr Lukas fort. »Erstens kann der Täter auf ein bestimmtes Opfer gewartet haben. Aber woher wusste er, ob und wann die Person dort vorbeikommen würde? Doch nur, wenn der Täter mit dem Toten bekannt war und das Opfer ihm erzählt hat, dass er zu einer bestimmten Zeit an diesem Ort anwesend sein würde.«
»In diesem Fall, den wir nicht ausschließen können, liegt in der Beziehung des Täters zum Opfer das Motiv, das wir aber nicht kennen«, sinnierte Habermehl.
»Allerdings kann es auch ganz anders sein. Der Mörder hat nicht auf eine bestimmte Person gewartet, sondern den Erstbesten umgebracht. Dann wird es schwer für uns. Nach welchen Kriterien wählt er sein Opfer aus? Was sind seine Beweggründe? Warum mordet er scheinbar wahllos? Was macht er mit dem Blut? Und weshalb bevorzugte er eine bestimmte Stelle in Wald?«
Habermehl stutzte. »Ihre Überlegungen sind gut. Sie haben bemerkt, was Sie gerade gesagt haben?«
»Was meinen Sie?«
»Sie sagten scheinbar wahllos . Das bedeutet, dass Sie nicht davon überzeugt sind, dass der Täter tatsächlich wahllos irgendjemanden tötet, einfach nur so. Für Außenstehende hat es zwar den Anschein. Doch wie denkt der Mörder? Weiter.«
»Wenn seine Motivation nicht das Opfer, sondern die Tat selbst ist, der Akt der Tötung?«
»Sie denken an einen Täter des sogenannten visionären Typs mit einem schwerwiegenden Bruch zur Realität oder an einen missionsorientierten Verbrecher?«
»Wäre doch möglich. Denken Sie nur an das Symbol.«
»Haben Sie sich dazu auch schon Gedanken gemacht?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer, was das Zeichen ausdrückt. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Dann geht es Ihnen wie mir und meinen Kollegen.« Habermehl seufzte. »Wir wissen es nämlich auch nicht – und das wurmt mich ungemein.«
»Kann ich mir denken. Ich frage mich, ob das Symbol für den Mörder überhaupt eine Bedeutung hat, oder ob das nur ein
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