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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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werden, und die durchtrainierten Beine wurden regelmäßig von Bauarbeitern und Taxifahrern mit Pfiffen gewürdigt.
    »Was ist eigentlich das da?« fragte Claudia.
    »Hm?«
    Sie deutete mit dem Pfannenwender auf meinen Kopf.
    »Johanna hat mir die Haare geschnitten«, sagte ich.
    »Hast du eine Wette verloren?«
    Ich spürte, wie mein Mundwinkel zuckte. Aber lachen tat immer noch ein bisschen weh, vor allem, wenn man sich dagegen sträubte. »Ich habe sie drum gebeten. Damit die Leute nicht mehr ganz so viel Angst vor mir haben.«
    »Hübsch«, sagte Claudia ungerührt.
    »Na ja«, sagte ich. »Inzwischen denke ich, hätte ich es besser selber gemacht.«
    Sie nickte und setzte sich. Dirk sah neben Claudia noch jünger aus. Sein Kopf war mit einem hellen Flaum bedeckt, und beim Abendessen konnte ich den Blick nicht vom Adamsapfel lösen, der an seinem dünnen Hals riesig wirkte. Mit jedem Bissen fuhr er hoch und runter, wie eine Maus, die im Schlund einer Schlange zappelte. Da ich meine Sonnenbrille aufhatte, konnte ich Dirk ungeniert mustern.
    »Was machen Sie noch mal beruflich?« fragte ich.
    Er legte die Gabel auf dem Tellerrand ab und verschränkte die Finger. Er sei wie Claudia Anwalt, sagte er. Ich könne gern Du zu ihm sagen.
    »In welcher Kanzlei arbeiten Sie? Haben Sie chronische Krankheiten? Sind Sie verheiratet?« fragte ich.
    Dirk, das musste ich ihm anrechnen, wandte sich auch jetzt nicht Hilfe suchend an Claudia. Er nahm die Gabel wieder in die Hand und säbelte bedächtig ein Stück vom Kotelett ab, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.
    »Ich hatte als Kind Neurodermitis«, informierte er den Knochen auf seinem Teller. »Ich habe gehört, du interessierst dich für Medizin?«
    »Ich interessiere mich kein bisschen für Medizin«, sagte ich. »Ich interessiere mich für Defekte.«
    In diesem Moment klingelte das Telefon.
    Ich blieb wie festgenagelt sitzen. Das war eine Familienregel, seit ich ganz klein war: Niemals vom Tisch stürmen, wenn es klingelt. Außerdem rief in der letzten Zeit sowieso niemand an. Für mich schon gar nicht. Der Anrufbeantworter sprang an. Und dann hörte ich Jannes Stimme, die mich um einen Rückruf bat.

          »Entschuldige bitte«, sagte ich zu Claudia am nächsten Morgen. Ich hatte mir extra den Wecker gestellt, um es ihr zu sagen. Ich schlief meistens erst im Morgengrauen ein, nachdem ich einige Tabletten eingeworfen hatte, und wachte erst gegen Mittag auf. Dirk war bereits weg. Die Küche roch nach Kaffee und aufgebackenen Croissants. »Es tut mir leid wegen gestern«, sagte ich.
    »Schon okay.« Claudia las weiter Zeitung.
    »Ich wollte es dir nicht verderben«, sagte ich. »Ehrenwort.«
    »Wenn du so schnell etwas verderben könntest, dann wäre es das sowieso nicht wert«, sagte Claudia und blätterte um. Sie hatte einen grauen Rock und eine strahlend weiße Bluse mit einem Stehkragen an. Ihre nackten Füße mit den rot lackierten Fußnägeln tasteten den Boden ab, als wären sie auf der Suche nach runtergefallenen Krümeln.
    Ich setzte mich ihr gegenüber, nahm ein Croissant aus dem Brotkorb und brach ein Ende ab. Es war noch warm. Ich ließ etwas Zitronengelee vom Messer in die Croissant-Öffnung tropfen und schob es komplett in den Mund.
    »Kann ich dich was fragen?« Claudia hatte die Zeitung beiseitegelegt und warf mir einen Blick über den Brillenrand zu.
    »Ja?« fragte ich mit vollem Mund.
    »Was hast du vor?«
    »Heute?«
    »Heute, morgen. Überhaupt. Soll es die ganze Zeit so weitergehen?«
    Ich schwieg.
    »Du hattest Freunde. Du hattest Interessen. Du hast Theater gespielt, verdammt noch mal. Hatte das alles so wenig Bestand, dass es sich jetzt komplett in Luft aufgelöst hast? Oder darf ich damit rechnen, dass du nur eine kreative Pause hast und es irgendwann wieder losgeht?«
    Ich seufzte, nahm ein Glas von der Anrichte, vergewisserte mich, dass es leer war, und warf es auf den Boden. Blöd genug, dass es dabei nicht zerbrach. Claudia schaute ihm nicht einmal nach.
    »Wenn du so destruktiv drauf bist, dann werde Profikiller. Das ist wenigstens eine gut bezahlte Tätigkeit.«
    Ich schloss die Augen. Für einen Moment stellte ich es mir vor. Wie ich zu seinem Haus gehe und an die Tür klopfe. Wie er aufmacht, der selber aussieht wie ein Kampfhund in Menschengestalt, verformter haarloser Kopf, kleine mörderische Augen, gefletschte Zähne. Wie ich mit einer Waffe durch die Tür trete. Wie ich ihm Zeit gebe, um mich zu erkennen, bevor ich

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