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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Melancholie. Und als er verständnislos aufschaute: »Ein Rottweiler ist ein ganz großer, böser Hund mit verdammt scharfen Zähnen.«
    »Siehst du, Ferdi«, sagte Tamara. »Willst du jetzt immer noch einen Hund?«
    Er nickte genauso hastig und entschlossen, wie er vorhin den Kopf geschüttelt hatte.
    »Papa hat mir einen Hund versprochen«, sagte er und beugte sich tiefer über den Teller. Und dann sah ich, dass er weinte.
    Vielleicht hatte ich noch nie ein Kind richtig weinen sehen. Vielleicht hatte ich noch nie kapiert, was es überhaupt zu heulen gab. Aber jetzt, als ich Ferdis kleines, nasses, verzerrtes Gesicht sah, kratzte es plötzlich bei mir im Hals. Ich wollte alles tun, damit er aufhörte zu weinen. Ich wollte, dass er es nie wieder tat.
    »Ferdi«, sagte ich. »Hör auf zu heulen. Ich hasse Hunde mehr als alles andere auf der Welt, aber ich schenke dir einen.«
    Claudia legte ihren Löffel neben die Breischale und sah mich an.
    »Ich bräuchte eigentlich zwei Hunde«, überlegte ich laut. »Ich habe nämlich erst vor Kurzem einem Mädchen einen Hund versprochen.«
    Ferdi hörte auf zu kauen. Seine dunklen Augen ruhten zum ersten Mal etwas länger auf meinem Gesicht. Wahrscheinlich sah er nur seinen künftigen Hund, denn jetzt lächelte er. Ich hatte ihn noch nie lächeln gesehen. Ich war verblüfft, dass er es überhaupt konnte. Ich starrte ihn mit offenem Mund an, bis Tamara mich unter dem Tisch in den Oberschenkel zwickte und dabei ein wenig danebengriff.

    An diesem Abend sagte Ferdi auf Tamaras Aufforderung laut »Gute Nacht« – erst zu Claudia und dann auch zu mir. Dabei schaute er auf seine Zehen in den roten Anti-Rutsch-Socken.
    »Schlaf gut, mein Schatz«, erwiderte Claudia zuckersüß. Ich sah sie an. Mit mir hatte sie noch nie so gekünstelt gesprochen.
    »Schlaf fest, Gnom«, sagte ich.
    Tamara warf uns Kusshände zu.
    »Die genießt es ganz schön, im Mittelpunkt zu stehen, findest du nicht?« fragte ich Claudia, als Tamara mit Ferdi huckepack im oberen Stockwerk verschwunden war.
    »Sie ist selbst noch ein Kind«, sagte Claudia.
    »Sie ist mindestens vierundzwanzig.«
    »Eben.«
    Claudia saß auf der Ledercouch, drückte ein Sofakissen an sich und sah irgendwie verloren aus. Oben begann Tamara zu singen. Wenig später stimmte Ferdi ein. Claudia sah zur Decke hoch und wischte sich verstohlen übers Gesicht.
    Vielleicht dachte sie gerade darüber nach, wie es gewesen war, als ich in Ferdis Alter war, süß und blond und mit einem richtigen Gesicht.
    »Ist er jetzt wirklich weg? Für immer?« fragte ich.
    »Keine Ahnung«, sagte Claudia. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass das alles eine Farce ist. Ich kann es einfach nicht glauben. Ich rechne jeden Moment damit, dass die Tür aufgeht und er reinkommt.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
    Ich musste daran denken, wie ich mir damals im Krankenhaus, als ich die Schmerzen nicht mehr spürte, vorgestellt hatte, ich guckte eines Tages in den Spiegel und alles wäre wie immer.

          Ich hatte ein Gästezimmer unterm Dach bekommen, mit schrägen Wänden und einem Fenster, durch das man in wolkenlosen Nächten bestimmt die Sterne sehen konnte. Das Haus war riesengroß, Claudia schlief ein Stockwerk tiefer, wo ich mich noch nicht umgeschaut hatte. Dort mussten auch Ferdis Zimmer und Tamaras Schlafzimmer sein, das sie bis vor wenigen Tagen mit meinem Vater geteilt hatte. Außerdem gab es eine Sauna, einen riesigen Weinkeller und einen Raum mit Fitnessgeräten.
    »War es bei uns früher auch so?«, hatte ich Claudia gefragt, aber sie hatte nicht begriffen, dass ich es anerkennend meinte. »Nicht ganz so schlimm«, hatte sie gesagt. »Ich kann dir bei Gelegenheit gern unser altes Haus zeigen.«
    Ich hatte dankend abgelehnt.
    Ich zog meine Jeans an und öffnete die Zimmertür. Auf der Außenseite klebte ein gelber Zettel. »Maritschek, wir müssen erledigen ganz viel. Frühstücke selbst, Kuss, T. « Ich riss den Zettel ab und steckte ihn in die Hosentasche.
    Ich lief die Treppe hinunter in den ersten Stock. Die Badezimmertür stand offen, ich schaute rein, sah einen kleinen bunten Toilettensitz, eine Plastikstufe vorm Waschbecken, das mit Zahnpastaflecken beschmiert war. Überall hingen BHs mit Katzen und Mäusen und Rosen. Ich hob einen auf und ließ ihn am Zeigefinger pendeln, mich dabei wie gewohnt vom Badezimmerspiegel abwendend. Ich musste an meinen Vater denken und daran, dass ihm so ein folgenreicher Frauenwechsel ganz schön

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