Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
sie durch ihr gefliestes Heim tobte, sich mehrmals umzog, irgendwen anrief, weinend zusammenbrach, Ferdi anschrie, Tee kochte und ihn stehen ließ, zum Briefkasten lief, um neue Beileidskarten herauszuholen. Ganz Einhausen schien es eilig zu haben, seine Trauer um meinen Vater in schriftlicher Form kundzutun. In einigen Umschlägen steckten Geldscheine, die in Tamaras Jeanstasche wanderten.
    »Du musst es dir aufschreiben«, sagte Claudia. »Du musst dir alles aufschreiben, weil du dich bei all den Leuten mit einer persönlichen Karte bedanken musst.«
    »Mach ich.« Tamara warf die Umschläge hinter die Couch.

          Ich musste schon sagen, dass mein Vater sich einen Tod ausgesucht hatte, für den man sich nicht zu schämen brauchte. Er war nicht elend an Krebs gestorben und auch nicht einfach plötzlich umgefallen, mir diffuse Sorgen über mein gesundheitliches Erbe hinterlassend. Er war bei einer Bergtour in der Schweiz abgestürzt.
    »Er hat Bergtouren gemacht?« fragte ich, angenehm überrascht. Der Vater, den ich in Erinnerung hatte, hatte einen großen Bauch und Hamsterbacken, und alles an ihm hing herunter. Ihn in Kletterausrüstung am Berg zu sehen, überstieg meine Vorstellungskraft.
    »Er hatte gerade damit angefangen.« Tamara machte sich nicht die Mühe, die laufenden Tränen abzuwischen. »Und jetzt ist er aaabgestürzt!« Sie fiel mit dem Gesicht aufs Sofakissen.
    Ich tätschelte ungeschickt ihren Rücken. »Wenigstens ein cooler Tod.«
    »Es ist ein Schwachsinnstod«, stöhnte Tamara ins Kissen. »Warum muss einer, der bald sechzig wird, plötzlich auf den Berg?«
    »Wieso bald sechzig? Er ist nur zwei Jahre älter als ich.« Claudia war für einen Moment aus dem Ordner aufgetaucht.
    Tamara warf ihr einen Blick zu, in dem klar geschrieben stand, dass es für sie keinen großen Unterschied machte.
    Ferdi saß unter dem Tisch. Seit ich aus dem Gästezimmer heruntergekommen war, hatte er sich dort versteckt. Das Tischtuch hing herunter, und manchmal wellte es sich. Ab und zu sah ich ein dunkles Auge hervorblitzen.
    »Ferdi, durak, perestan«, sagte Tamara.
    »Doch nicht vor dem Kind«, sagte ich.
    Sie streckte den Arm aus und fuhr mir durch die Haare. »Diese Sonnenbrille macht ein Monster aus dir«, sagte sie, ohne sich an Claudias Anwesenheit zu stören. »Ansonsten bist du total süß. Warst du damals schon. Ich hätte dich gern adoptiert. Ich fand es echt furchtbar, dass ihr damals gleich von hier weggegangen seid.«
    Ich sah zu Claudia rüber. Sie guckte starr in den Ordner. Ihr Kinn wirkte eine Kante eckiger als sonst.

    Es gab keine Sekunde Ruhe mehr.
    Der Dorfbestatter kam, ein Mann, der wie ein Model aus der Werbung für Viagra aussah, mit silbernem Haar und maßgeschneidertem Anzug, das Gesicht seriös bis zum Erbrechen. Er schüttelte mir lange die Hand und sagte, dass er für meinen Verlust keine angemessenen Worte finden könne. Ich nickte.
    Er hatte ebenfalls dicke Ordner unter dem Arm und tauschte sie gegen noch dickere aus, die Claudia für ihn vorbereitet hatte. Sie saßen zu dritt am Tisch und unterhielten sich, das heißt, Claudia und der Bestatter redeten, und Tamara schniefte in ihr Taschentuch. Sie hatten auch mich in ihre kleine Runde eingeladen, aber ich lehnte ab. Mitreden konnte ich sowieso nicht, mitschniefen wollte ich nicht.
    Ich saß mit einem Fotoalbum auf dem Schoß und traute mich nicht, es aufzuschlagen. Tamara hatte drauf bestanden, dass ich es mir ansah. Claudia stimmte zu, dass es hilfreich sein könnte. Sie selbst hatte seltsamerweise keine Lust drauf, mir dabei Gesellschaft zu leisten. Das Album startete kurz vor Ferdis Geburt und umfasste sein erstes Lebensjahr. Die weiteren fünf warteten gestapelt auf dem Beistelltisch.
    Ich wollte Tamara nicht brüskieren, außerdem war ich selbst ein wenig neugierig. Ich war bloß nicht ganz vorbereitet auf das Nacktfoto der beiden, sie hochschwanger, mein Vater vermutlich nicht. Ich bedeckte seine Blöße mit dem Daumen und schielte zu Claudia rüber. Dass mein Vater so munter drauf gewesen war, hatte ich nicht gewusst. Jedenfalls hatte es in meinem Babyalbum solche Fotos nicht gegeben.
    Auch die ersten Bilder von dem schmierigen, violettfarbenen Etwas überblätterte ich rasch.
    »Du kannst mit deinen Babybildern vergleichen«, hatte Tamara angeregt, als sie die Alben hervorkramte.
    »Er hat keine mehr«, sagte Claudia taktlos.
    »Wie? Wo sind die denn?«
    »Er hat sie alle vernichtet. Letztes Jahr.«
    »Echt? Warum?«

Weitere Kostenlose Bücher