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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Frau Meyerling nicht an die Gurgel zu gehen.
    »Du musst dich nicht schämen, wenn du weinen musst.« Sie richtete sich mühsam wieder auf. Dabei stützte sie sich auf Ferdis kleiner Schulter ab, weswegen er etwas einknickte. Jetzt hatte sie ihn so weit, er heulte los, und meine Fäuste juckten. Wäre ich ein Rottweiler, hätte ich jetzt dringend einen Maulkorb gebraucht.
    »Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte ich. »Weinen Sie mit Erwachsenen, wenn Ihnen danach ist.«
    »Junger Mann.« Sie drehte sich zu mir und rückte ihre Brille auf der Nase zurecht. »Ich habe Trauerbegleitseminare für Kinder gegeben. Möchten Sie mir noch etwas beibringen?«
    Sie hielt Ferdi immer noch an der Schulter fest. Ich würgte an einer Antwort herum. Claudia fasste sich als Erste.
    »Möchten Sie einen Kaffee?« Sie stupste Tamara an, die sich sofort in Bewegung setzte. »Nehmen Sie bitte Platz. Ich bin die Exfrau des Verstorbenen, der junge Mann mit der modischen Brille ist mein Sohn Marek, und ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich die Zeit für einen Besuch genommen haben.«
    Frau Meyerling musste Ferdi loslassen, um Claudias Hand zu schütteln, und genau das war vermutlich die Absicht gewesen. Er huschte blitzschnell davon, während Tamara auf die Knöpfe ihres Raumschiffs drückte. Ich wollte Ferdi hinterher, aber er war schon in seinem Zimmer verschwunden und hatte die Tür zugeknallt. Dann hörte es sich an, als würden ganz viele Spielzeugautos gegen die Wand fliegen. Ich stieg feige die Treppe noch höher in meine Dachkammer und kam erst wieder herunter, als die Haustür hinter Frau Meyerling ins Schloss gefallen war.

          Ihr süßliches Parfum hing noch in der Luft, und überall waren Prospekte mit Kerzen und Engeln verstreut. Ich hob eines auf, es ging um eine Trauergruppe für Kinder. Ich sammelte sie ein und stapelte sie ordentlich, drehte mich dann um auf der Suche nach einem Papierkorb.
    »Jeder, wie er kann«, sagte Claudia leise.
    »Sie ist ein Geier«, sagte ich. »Das geht ihr doch in Wirklichkeit alles am Arsch vorbei.«
    Claudia schüttelte den Kopf und warf einen Katalog auf den Tisch. Ich schaute kurz drauf, es ging um Urnen, aber die Frage hatte sich laut Ferdi bereits erledigt. Tamara klapperte nebenan am Kühlschrank. Sie holte all das verschimmelte Zeug heraus und stapelte es auf der Fensterbank.
    »Übrigens haben wir ein Problem.« Claudia blätterte in den Urnen aus Mahagoni und Marmor.
    »Echt?«
    »Ja. Die Schweizer Behörden sagen plötzlich, dass sie den Körper nicht herausgeben können, bevor ihn nicht jemand identifiziert hat.«
    »Haben die sich vielleicht doch geirrt?« fragte Tamara.
    Mein Herz machte einen Sprung. Genau daran dachte ich auch schon die ganze Zeit.
    »Ausgeschlossen. Es ist reine Formsache. Aber es führt trotzdem kein Weg dran vorbei.«
    »Und das fällt ihnen erst jetzt ein?!« rief Tamara gellend. »Der Beerdigungstermin steht fest.«
    Ein Glas Essiggurken fiel aus ihren Händen und zerschellte auf den Fliesen. Die Marinade spritzte in alle Richtungen. Tamara rutschte an der Wand herunter und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
    Der Aufprall hatte irgendwas mit mir gemacht. Ich konnte mich plötzlich nicht mehr rühren. Tamaras Schultern zuckten, die Schluchzer erreichten mich zeitversetzt, wie Donner nach dem Blitz. Claudia schob mich aus dem Weg und hockte sich daneben, legte Tamara den Arm um die Schultern und wiegte sich mit ihr im Takt. Dann explodierte etwas über meinem Kopf. Ferdi hatte in seinem Zimmer mein ganzes mühsam aufgebautes Lego-Parkhaus gegen die Wand geworfen.

    »Ich kann es gern machen«, sagte ich.
    Tamara behauptete, dass sie dazu nicht in der Lage sei, außerdem könne sie Ferdi jetzt nicht allein lassen. Claudia telefonierte mit versteinertem Gesicht und wandte sich dabei von Tamara ab, die die ganze Zeit weiter auf sie einredete. Die Schweizer Polizei war schwer zu erreichen, für den zuständigen Sachbearbeiter wurde Claudia zehnmal weitergeleitet, um wieder bei dem ersten zu landen. Ein Toter ließ sich offenbar weder mit Fotos noch mit Beschreibungen rechtskräftig identifizieren; die einzige Ausnahme wäre der Zustand der Zähne gewesen, bescheinigt vom Zahnarzt des Toten.
    »Ist es wirklich so kompliziert?« fragte ich. »Ich meine, wer soll diese Leiche sonst noch sein? Kann man nicht auch anhand von Narben…?«
    »Persönliche Identifikation vor Ort oder Zahnkarte«, zischte Claudia, den Hörer zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, aus

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