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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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sehr schön gefunden. Das war im Grunde immer noch so, auch wenn mein Blick auf die Schönheit sich durch Janne stark verschoben hatte. Im Vergleich zu Janne sah jede Frau wie ein Missverständnis aus. Und Tamara wirkte nicht gerade wie das blühende Leben. Sie hatte rote Flecken auf den Wangen und tiefe Schatten unter den geäderten Augen. Sie sah ungefähr so alt aus wie Claudia. Zum Beweis stellte sich Claudia direkt daneben.
    »Mein Schatz«, sagte Claudia mit zitternden Lippen und streckte die Arme nach mir aus.
    Ich verstand nicht, was sie mir da ins Ohr flüsterte. Wahrscheinlich drückte sie mir ebenfalls ihr Mitgefühl aus. Ich sagte also »Gleichfalls« und schaute sie an, um nicht Tamara ansehen zu müssen oder die Einrichtung dieser Betongrotte. Der Steinboden unter meinen Füßen war schwarz mit weißen Sprenkeln, und irgendwo weiter hinten hatte sich eine Art Kamin mit einem geschwungenen Sims in mein Blickfeld geschlichen.
    Aber ich konnte nicht ewig die Falten im Gesicht meiner Mutter zählen, also wandte ich mich seufzend Tamara zu. Mittendrin fiel mir alles, was bis zu diesem Moment mit mir passiert war, wieder ein, und ich wollte mich wegdrehen, um die Nerven der jungen Witwe zu schonen.
    Aber Tamara lief um mich herum, damit sie direkt vor mir stehen konnte. Sie fasste mir mit der Hand ans Kinn. Gebannt scannte sie mein Gesicht, aber als ihre Hand nach meiner Sonnenbrille griff, schob ich sie beiseite. Mir brach der Schweiß aus. Ich rettete mich, indem ich ihr erneut in den Ausschnitt starrte.
    »Du siehst … aus«, atmete Tamara aus. Meine Wangen begannen zu prickeln. Claudia hüstelte diskret.
    »Tammy«, sagte sie. »Ich glaube, du musst dich jetzt ganz dringend um den Kleinen kümmern.«

    Ich saß auf der Ledercouch neben Claudia, die irgendwelche Ordner durchblätterte, als hinge ihr Leben davon ab. Im Stockwerk über uns tobte der Kampf. Tamara schrie auf einer Sprache, die ich für Ukrainisch hielt, Ferdi antwortete auf Deutsch.
    »ICH GEHE DA NICHT RUNTER!!«
    Ukrainisches Geratter.
    »ICH HABE TROTZDEM ANGST!«
    Ukrainisches Geratter.
    »ICH GLAUBE ES DIR NICHT! PAPA SOLL KOMMEN!!«
    Claudia hob die Augen zur Decke und wischte sich eine Träne von der Wange.
    »Lass den Jungen in Ruhe«, brüllte ich. »Er ist nicht der Einzige, der Angst vor mir hat.«
    Tamaras Ukrainisch schraubte sich in Tonhöhen, die ich als Vibrationen in meinen Knochen spürte.
    »ER IST NIE UND NIMMER MEIN BRUDER!« brüllte der Kleine.
    »Marek, jetzt komm doch mal hoch, damit ihr euch kennenlernen könnt«, schrie Tamara.
    »NEEEEEEIINN!! BITTE NICHT!! BITTE NICHT!!!«
    Ich konnte nicht anders, ich hielt mir die Ohren zu. Meine Nerven waren auch nicht mehr die stärksten. Claudia tat, als würde sie weiter in ihren Ordnern lesen. Dabei hatte sie schon länger nicht mehr umgeblättert. Ich fragte mich, ob es ihr Herzschlag war oder meiner, den ich gerade hörte. Ich löste eine Hand vom Ohr und nahm mir einen weiteren Apfel aus einer Glasschale. Vor lauter Nervosität hatte ich schon vier gegessen. Drei waren noch da. Das heftige Kauen beruhigte mich.
    Tamara kam die Treppe heruntergelaufen und machte einen erneuten Versuch, mich zu umarmen.
    »Es tut mir leid, Marek. Ferdi ist bockig. Das warst du auch mal, Himmel. Ich entschuldige mich. Es wird besser.«
    »Hmmmhhmm.« Ich hatte den Mund komplett voll.
    »Der Junge hat gerade seinen Vater verloren«, bemerkte Claudia wie nebenbei.
    »Welcher?«
    »Beide.« Claudia sah Tamara über den Brillenrand an. »Vermutlich beide Jungen.«

          Zwei Stunden später sehnte ich mich in die Villa nach Marenitz zurück. Es war unerträglich. Ich wusste nicht, was ich hier sollte. Claudia machte es sich leicht, indem sie sich in den Akten vergrub und immer wieder ein Schriftstück für Tamara rauslegte.
    »Musst du kopieren. Musst du abheften. Das ist für die Lebensversicherung.«
    »Jaja«, antwortete Tamara ohne hinzusehen.
    Ferdi weigerte sich, herunterzukommen, solange ich im Wohnzimmer saß. Dabei hatte er irgendwas von einer schrecklichen Brille geschrien. Claudia versicherte Tamara nicht sehr überzeugend, dass es nicht so schlimm sei. Ich sagte, ich sei Kinder gewohnt, die meinetwegen die Straßenseite wechselten. Erwachsene auch. Tamara schaute mich an. »Wieso?«
    Ich konnte nicht sagen, ob sie sich verstellte oder wirklich so doof war. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie sie in intellektueller Hinsicht früher gewesen war. Ich schaute ihr zu, wie

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