Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
auf die Herzkranzgefäße gegangen sein musste.
Auf der angelehnten Nachbartür klebten tanzende Holzbuchstaben, die das Wort FERDINAD bildeten. Das zweite N tanzte offenbar auf einer anderen Party. Ich öffnete die Tür und schaute hinein. Versuchte, den Stich zu ignorieren, den mir das Piratenbett aus dunklem Holz mit einem Segel und einem riesigen Steuerrad versetzte. Auf einem Spielstraßen-Teppich von Ikea, der mich an den Teppich erinnerte, den ich vor nicht allzu langer Zeit noch in meinem Zimmer gehabt hatte, war eine Massen-Karambolage nachgestellt worden. Umherfliegende Lego-Teile symbolisierten wahrscheinlich eine Naturkatastrophe.
Ich schob die Autos mit dem Fuß beiseite und setzte mich mitten auf den Teppich. Ich nahm ein winziges Cabrio und ließ es über die aufgedruckte Straße fahren. Dann begann ich, die Legoteile ineinanderzustecken. Diejenigen, die direkt um mich herum lagen, passten nicht immer. Ich suchte das Zimmer nach den richtigen ab, bis ich auf einen großen Container voller Lego stieß.
Am Ende hatte ich ein Parkhaus mit einem Zaun drumherum gebaut, die Autos hineingeparkt und davor eine Allee mit Bäumen und Blumenbeeten angelegt. Als ich fertig war, hob ich den Blick zur blauen Zimmerdecke mit einem Durcheinander aus Sternen und Wolken und senkte ihn dann wieder auf Urkunden und Fotos, mit denen die Wand tapeziert war.
Ich stand auf, schüttelte ein paar Bauteile von meiner Hose und ging näher ran. Ferdi war von der Zahnfee für das richtige Zähneputzen ausgezeichnet worden und von einer Skischule in der Schweiz für den dritten Platz beim Skirennen. Die Medaille hielt er auf dem nächsten Foto in die Kamera und guckte dabei, als wäre er persönlich beleidigt worden. Auf dem Bild rechts davon lächelte er schon wieder auf Tamaras Arm, und als mein Blick auf den nächsten Rahmen fiel, verschlug es mir den Atem. Erst dachte ich, dass es ebenfalls Ferdi war, nur war er darauf merkwürdigerweise etwas größer und älter als jetzt. Und dann kapierte ich, dass es sich um mich handelte.
Ich floh aus Ferdis Zimmer und warf die Tür eine Spur heftiger zu als nötig. In der Küche öffnete ich mit zitternden Händen den Kühlschrank. Begutachtete aufgereihte Salzgurkengläser, verschimmelte Käsereste und grünlich gewordenen Wurstaufschnitt. Ich versuchte zu zählen, wie viele Tage mein Vater bereits tot war und wie lange er vorher auf Reisen gewesen sein musste. Ich kam zu keinem schlüssigen Ergebnis, roch misstrauisch an der geöffneten Milchpackung und suchte lange das Verfallsdatum auf der Eierschachtel.
Auf dem Herd stand ein Topf mit angetrockneten Haferbreiresten. Ich stellte ihn ins Spülbecken, nahm eine Pfanne vom Haken an der Wand und machte sie zur Sicherheit noch einmal sauber.
Die Kaffeemaschine war so riesig wie ein Raumschiff und ähnlich entgegenkommend in der Bedienung. Ich drückte auf ein paar Knöpfe, und sofort leuchteten mehrere Anzeigen rot auf, und aus der Seite kam Dampf raus. Bevor das Ding explodierte, zog ich den Stecker und holte den Instant-Cappuccino und eine Packung Toast heraus, die ich ganz oben im Schrank gesehen hatte.
Ich hatte gerade die Gabel mit dem Spiegelei zum Mund geführt, als es an der Tür klingelte. Ich schluckte das Ei herunter und hastete hoch, denn die Sonnenbrille lag noch irgendwo in meiner Dachkammer. Während ich suchte, sie aufsetzte, wieder abnahm, um mir ein T-Shirt überzuziehen, und runtereilte, klingelte es noch ein paar Mal. Ich riss die Tür auf.
Auf der Treppe stand eine kräftige Frau mit einem bemerkenswert kleinen Kopf, vielleicht auch einfach einem viel zu kurzen Haarschnitt. Dass sie in dem, was sie vorhatte, ein Profi war, erkannte ich daran, dass sie vor mir nicht zurückschreckte. So standhaft und hartnäckig waren nur die, die ihr Ziel ganz fest vor Augen hatten. Ihres erfuhr ich unmittelbar. Sie war die Leiterin von Ferdis Kindergarten und hieß Frau Meyerling.
Etwas erschrocken machte ich einen Schritt zur Seite. Ferdi sei mit seiner Mutter unterwegs, sagte ich und wollte die Tür wieder schließen und zu meinen Spiegeleiern zurückkehren, doch sie schob mich sanft, aber zielstrebig aus dem Weg und stand plötzlich im Haus. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Tür zu schließen, obwohl sie sich auf der falschen Seite davon befand. Dann wiederholte ich, dass weder Ferdi noch seine Mutter da seien, für den Fall, dass sie ein wenig schwerhörig war.
»Kein Problem, ich habe Zeit
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